Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
Vom Netzwerk:
Junge, der ihm am nächsten stand, brachte eine Karte, die Aldo auf dem Tisch ausbreitete. Es war eine detaillierte Karte von Ruffano. Ich trat mit den anderen näher. Die Vorstellung, phantastisch und unerwartet, wie sie erfolgt war, hatte auf mich eine merkwürdige Wirkung. Ich hatte den Eindruck, mit mir selbst nicht mehr identisch zu sein. Ich war nicht mehr Armino, ein einsamer Reiseleiter ohne Aufgabe und Ziel, womöglich polizeilich gesucht, ich war nichts als ein anderer Giorgio, ein anderer Lorenzo.
    »Wie ihr wisst, beginnt die Fahrt an der Piazza Carlo und endet an der Piazza Maggiore«, erklärte Aldo. »Mit anderen Worten: Vom Nordhügel hinunter zum Stadtzentrum an der Piazza Matrice und dann durch die Via Vittorio Emanuele wieder hügelaufwärts zum Palazzo Ducale. Bis zur Piazza Matrice wird die Strecke frei sein, aber dann beginnt das Schauspiel. Die Bürger von Ruffano, dargestellt von den WW-Studenten, werden aus allen fünf Zufahrtsstraßen auf die Piazza strömen, mit Ausnahme der Via Vittorio Emanuele, die vom Hof, das heißt von den Kunst- und Philologiestudenten, besetzt ist. Der Kampf beginnt unmittelbar nachdem der Zug des Falken die Piazza Matrice passiert hat und den Hügel hinaufstürmt. Ihr und die Höflinge, die hier im Palast Wache halten, werdet die Bürger abwehren, bis der Falke sicher durch eure Reihen gelangt ist, den Hof überquert und die Treppe zu den herzoglichen Gemächern erstiegen hat. Ist das klar?«
    »Vollkommen«, erwiderte Giorgio, der der Wortführer zu sein schien.
    »Also gut«, sagte Aldo. »Dann müssen wir nur noch jedem Höfling einen bestimmten Standort an der Via Vittorio Emanuele anweisen, was ihr mit den Freiwilligen klären könnt, und den Führern der WW-Studenten den Plan der Seitenstraßen übergeben. Wir werden es mit einer etwa dreifachen Übermacht zu tun haben. Aber das ist das Rühmliche an der Sache.« Er faltete die Karte zusammen, während ich zögernd zu einer Frage ansetzte; die Frage lag so sehr auf der Hand, daß es mir fast absurd erschien, sie überhaupt zu stellen.
    »Was ist mit der Masse des Publikums? Wer wird die Straßen freihalten?«
    »Die Polizei«, sagte Aldo. »Das besorgt sie jedes Jahr. Diesmal freilich werden die Instruktionen verbindlicher sein. Nach einem bestimmten Zeitpunkt darf sich außer den Darstellern niemand mehr in dem betroffenen Areal aufhalten.«
    »Und von wo aus sollen die Leute zuschauen?« erkundigte ich mich weiter.
    »Von allen verfügbaren Fenstern aus«, erwiderte Aldo lächelnd, »angefangen von der Piazza Carlo, dann die Via Carlo hinunter bis zur Piazza Matrice und die Via Vittorio Emanuele hinauf bis zum Palast. Die Hausbesitzer haben alle Merkblätter bekommen. Sie können für die Plätze fordern, was sie wollen. Das haben sie im vergangenen Jahr, beim Einzug des Papstes, auch schon getan. Ein paar haben dabei ein kleines Vermögen gemacht, aber auf der Basis, daß sie die Hälfte ihrer Einnahmen abliefern mußten, ein Viertel an den Hilfsfonds für unbemittelte Studenten, das andere Viertel für die Instandhaltung des Palazzo Ducale.«
    Ich kaute an meinem Daumennagel, eine Kindheitsgewohnheit, die ich längst abgelegt zu haben glaubte. Als aber Aldo eine Bewegung machte, fiel meine Hand automatisch hinab.
    »Im letzten Jahr, das hat man mir jedenfalls erzählt«, sagte ich, »beteiligten sich auch die Professoren, und eine Menge Leute schauten hier im Palast selber zu, teils von der Galerie, teils von den Fenstern aus, die auf den Innenhof gehen.«
    »In diesem Jahr«, sagte Aldo, »wird es im Palast keine Zuschauer geben, nur Darsteller. Die Universitätsleitung, die Stadtverwaltung und sonstige erlauchte Körperschaften werden Plätze auf der Piazza del Mercato bekommen.«
    »Aber das ist doch unterhalb des Stadtzentrums. Da können sie gar nichts sehen«, wandte ich ein.
    »Dafür werden sie um so mehr hören, sehr viel mehr, und vor allem werden sie beim Finale dabeisein, dem wichtigsten Akt der ganzen Schau.«
    Jemand klopfte an die Tür, die vom Audienzsaal, in dem wir uns zur Zeit befanden, auf die Galerie führte.
    »Seht bitte nach, was los ist«, sagte Aldo.
    Einer der Studenten, ich glaube Sergio, ging an die Tür und sprach einen Augenblick mit dem Pagen, der mich hineingeführt hatte. Kurz darauf kam er zurück.
    »Die Wachen haben einen Burschen aufgegriffen, der unten am Westportal herumlungerte«, sagte er. »Er hatte keine Ausgeherlaubnis, und als man ihn befragte, wurde er frech.

Weitere Kostenlose Bücher