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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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Kasperletheater? Wohl kaum. Ich werde mich fürs Wochenende nach Haus verkrümeln. Mein Vater gibt in Rimini eine große Party für mich.«
    »Wie schade«, sagte Aldo. »Wir hätten Ihnen hier diverse Sensationen bieten können. Aber warum sollten Sie nicht schon heute abend einen kleinen Vorgeschmack serviert bekommen. Frederico?«
    Einer von der Leibgarde trat vor. In ihren Masken waren sie kaum voneinander zu unterscheiden, aber dieser hier schien mir, in Anbetracht der zierlichen Statur und des Haarschopfes über der Maske, einer der Duellanten vom Sonnabend zu sein.
    »Bietet sich in unserem Buch etwas Passendes für Stefano an?« fragte Aldo.
    Frederico schaute zu mir herüber. »Vielleicht sollten wir Armino zu Rate ziehen«, schlug er vor, »er ist unser Experte.«
    »Auch Frederico übersetzt für mich«, erläuterte Aldo, »er hat uns die jeweils in Betracht kommenden Abschnitte aus dem Buch des deutschen Historikers angestrichen. Er wurde, wie gesagt, in einem KZ geboren und hat von dort eine gewisse Sprachgewandtheit mitgebracht.«
    Das Unbehagen, das mich schon beim ersten Anblick des aufgegriffenen Studenten befallen hatte, verstärkte sich. Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich kann mich nicht erinnern«, sagte ich.
    Daraufhin wandte Aldo sich wiederum Frederico zu, der ein Bündel von Zetteln aus seinem Wams zog. Er las schweigend.
    »Der Page«, sagte er schließlich, »die Sache mit dem Pagen würde sich für Stefano sehr gut eignen.«
    »Ah ja, der Page«, sagte Aldo leise, »die Bestrafung des Pagen, der vergaß, für die Beleuchtung zu sorgen. Feurige Kohlen auf das Haupt eines Menschen zu häufen, der einen Kleineren und Schwächeren in einen Brunnen werfen wollte, wäre die passende Krönung einer prahlerischen Existenz. Würdet Ihr das bitte arrangieren?«
    Der Student Marelli wich zurück, als Frederico und die beiden Wachen auf ihn zutraten.
    »Hören Sie«, sagte er, »wenn Sie sich an mir vergreifen wollen, mache ich Sie darauf aufmerksam …«
    Die beiden Wachen schnitten ihm das Wort ab, indem sie ihn bei den Armen packten, während Frederico sich gedankenvoll das Kinn rieb.
    »Nehmen wir doch die alte Kohlenpfanne«, sagte er gelassen. »Sie liegt mit den anderen Eisenutensilien in irgendeinem der oberen Räume. Sie wird ihm angegossen wie eine Krone sitzen. Aber vielleicht sollte ich ihm erst den betreffenden Abschnitt aus dem Buch vorlesen.«
    Er zog seine Zettel wieder vor, Abschriften der Notizen, die ich Aldo am Sonntag gegeben hatte.
    »Bei einer Gelegenheit«, las er vor, »wurde ein Page, der es versäumt hatte, die Beleuchtung für das Nachtmahl des Herzogs zu beschaffen, von der Leibwache des Falken ergriffen, die den unglücklichen Jungen in Lumpen wickelte, sein Haar ansteckte und ihn durch die Gemächer des Palastes hetzte, so daß er unter unsäglichen Qualen starb.« Damit steckte er die Zettel wieder in sein Wams und gab den Wachen ein Zeichen.
    »An die Arbeit«, sagte er.
    Der Student Marelli, der sich vor kaum zwei Minuten noch mit dem Reichtum und dem Einfluß seines Vaters gebrüstet hatte, sackte zwischen den beiden Wachen zusammen. Sein Gesicht wurde grau. Er begann zu schreien und schrie und schrie, während er hinausgeschleift wurde in die Passage und über die Galerie hinauf zum oberen Stockwerk. Niemand sprach ein Wort.
    »Aldo …«, sagte ich schließlich, »Aldo!«
    Mein Bruder schaute mich an.
    Das Schreien verstummte.
    »Die Menschen der Renaissance kannten kein Mitleid. Warum sollten wir Mitleid haben?« fragte Aldo.
    Jählings packte mich das Entsetzen. Mein Mund war trocken.
    Ich konnte nicht schlucken.
    Indessen nahm Aldo seine Maske ab. Die anderen folgten seinem Beispiel. Auf ihren jungen Gesichtern malte sich ein furchterregender Ernst.
    »Der Mensch der Renaissance folterte und mordete ohne Gewissensbisse«, fuhr Aldo fort, »aber es gab meistens einen Grund für sein Tun. Jemand mochte ihm ein Unrecht zugefügt haben, so daß er aus Rache handelte. Kein stichhaltiges Motiv vielleicht, aber diskutabel. In unserer Zeit haben Menschen gemordet und gefoltert, um sich die Zeit zu vertreiben oder aus Lust am Experiment. Die Schreie, die ihr gerade gehört habt und die von purer Feigheit und nicht von Schmerzen ausgelöst waren – sie gellten in furchtbarem Ernst Tag um Tag und Nacht um Nacht in Auschwitz und in anderen Lagern. Von dem Lager aus zum Beispiel, wo mein Übersetzer Frederico und Sergio hier geboren worden sind, hat Romano sie in den

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