Das Geheimnis des Falken
Studentenheim in die Heia marschieren.«
Er blickte sich um, in der Hoffnung, daß es Streit geben würde.
Ich hatte seine Aufmerksamkeit schon am Montag erregt und verspürte keine Lust, sie von neuem auf mich zu ziehen. So schlüpfte ich aus der Mensa und machte mich auf den Weg zum Palazzo Ducale.
Die Piazza Maggiore hatte schon einen festlichen Anstrich. Obwohl es kaum dämmerte, waren Palast und Dom angestrahlt. Die rosigen Mauern des Palazzo sahen aus, als ob sie glühten. Die großen Fenster an der Ostfassade, leuchtend weiß, gewannen Relief. Der ganze Bau wirkte plötzlich nicht mehr wie ein Museum, voll gestopft mit kostbaren Gemälden und Gobelins, durch das gleichgültige Touristen krochen, sondern war ein lebendiges Wesen.
So hatten ihn die jungen Fackelträger vor fünfhundert Jahren gesehen, im Schein des Mondes und der wehenden Feuerbrände. Damals klapperten die Hufe der Pferde über das Kopfsteinpflaster, man hörte die Sporen klirren und die Harnische, wenn Sattel und Geschirre abgenommen wurden. Dann stoben Pferdeknechte und Diener auseinander, und durch das mächtige, holzgeschnitzte Portal kam der heimkehrende Sohn des Hauses, Malebranche, geschritten oder hoch zu Ross, die behandschuhte Rechte auf dem Schwertknauf.
Es waren noch gut zwanzig Minuten bis zum Ausgehverbot, und wer von den Studenten Zeit hatte, wanderte Arm in Arm mit seinen Besuchern aus der Verwandtschaft auf und ab. Diejenigen, die über die geeigneten Filme und Filter verfügten, ließen ihre Fotoapparate klicken.
An der Fontäne begann eine Gruppe von jungen Leuten hinter zwei Mädchen herzupfeifen und -zurufen, die auf hohen Hacken vorbeiklapperten und die unvermeidliche kühle Verachtung zur Schau trugen. Irgendwo spuckte eine Vespa, irgendwo anders bellte heiseres Gelächter.
Ich ging zum Seiteneingang und drückte auf die Klingel. Wieder einmal kam ich mir vor wie ein Wanderer zwischen zwei Welten. Hinter mir lag die Gegenwart, aalglatt, fleißig, tüchtig, mit einer Jugend, die sich in allen Ländern glich wie massenproduzierte Eier. Und vor mir erhob sich die Vergangenheit, jene düstere unbekannte Welt, in der es Gift und Raub, Macht und Schönheit, Luxus und Schmutz gab, wo ein Bildnis durch die Straßen getragen und angebetet wurde von reich und arm, wo man Gott noch fürchtete und Männer und Frauen von der Pest befallen wurden und starben wie die Hunde.
Nicht der Nachtwächter, sondern ein Knabe, der als Page kostümiert war, öffnete mir und fragte nach meinem Paß. Ich wies die Plakette vor, die Aldo mir gegeben hatte. Er verbeugte sich schweigend, nahm die Fackel aus dem Ständer und ging vor mir her durch den Innenhof. Nirgends brannte Licht. Ich hatte nicht geahnt, wie dunkel der Palast ohne elektrische Beleuchtung war. Am Sonnabend waren zwar die oberen Räume nur von Fackeln erhellt gewesen, aber hier unten und auf den Treppen hatten wie üblich die Lampen gebrannt. Heute abend brannten sie nicht, und während wir die große Treppe hinaufstiegen, wurden unsere Schatten im Fackelschein riesengroß. Der Page, der in seinem gegürteten Wams und der Kniehose vorankletterte, wirkte keineswegs verkleidet. Ich war hier der Eindringling.
Die Galerie, die um den Hof herumführte, lag in pechschwarzer Finsternis. Eine einsame Fackel, die in einem Wandarm steckte, warf einen gespenstischen Schein auf die Tür zum Thronsaal. Der Page klopfte zweimal, und man ließ uns ein.
Der Thronsaal war leer und mit zwei Fackeln in ähnlicher Art beleuchtet wie draußen die Tür.
Wir gingen ins Zimmer der Cherubim hinüber, wo die Sitzung vom letzten Sonnabend stattgefunden hatte. Auch dieser Raum war leer und von Fackeln beleuchtet.
Die Türen, die zum Schlafgemach des Herzogs und zumAudienzsaal führten, waren geschlossen. Der Page klopfte zweimal an die erste Tür. Ein junger Mann, in dem ich einen der Gitarrespieler erkannte, die sich am Montag so frisch-fröhlich auf der Bühne produziert hatten, machte uns auf. Er trug ein flaschengrünes Wams, dessen geschlitzte Ärmel mit Purpur unterlegt waren. Dazu schwarze Kniehosen. Über dem Herzen war ein Emblem mit dem Kopf eines Falken angebracht.
»Ist dies Armino Donati?« fragte er.
Ich war betroffen vom Klang meines zweiten Namens, den ich in soviel Jahren niemandem mehr genannt hatte.
»Ja, oder auch Armino Fabbio«, erwiderte ich vorsichtig.
»Wir ziehen Donati vor«, stellte er fest.
Mit einer Kopfbewegung forderte er mich auf einzutreten. Die Tür wurde hinter
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