Das Geheimnis des Falken
Sie möchten wissen, ob sie ihn laufen lassen sollen.«
»Handelt es sich um einen Einwohner der Stadt oder um einen Studenten?« fragte Aldo.
»Um einen Studenten. WW. Ein vierschrötiger Lümmel, der Ärger machen wollte.«
»Wenn er Ärger machen wollte, soll er ihn bekommen«, entschied mein Bruder und wies Sergio an, den Störenfried von den Wachen hereinbringen zu lassen.
»Das könnte mein Verfolger sein«, sagte ich, »ein Mensch, der mich nach dem Krawall am Montag in den Brunnen stippen wollte. Ich sah ihn heute abend in der Mensa und hörte, wie er sich damit brüstete, keinen Ausgehschein zu haben, und daß er sich den Teufel darum scheren werde.«
Aldo lachte. »Um so besser«, sagte er, »vielleicht werden wir unseren Spaß an ihm haben. Setzt eure Masken auf, alle. Und gebt auch eine für Armino her.«
Giorgio reichte mir eine kleine schwarze Maske mit Augenschlitzen, wie sie die beiden Duellanten am Sonnabend getragen hatten.
Ich kam mir komisch vor, während ich es Aldo und den anderen nachtat und das Ding vors Gesicht nahm, aber als wir allesamt maskiert waren und ich um mich blickte und sah, wie wir in der Fackelbeleuchtung inmitten des dunklen Raumes wirkten, mußte ich zugeben, daß die Szenerie auf einen Außenseiter nicht eben beruhigend, sondern geradezu in höchstem Grad alarmierend wirken mußte.
Maskiert wie wir, betraten die Wachen den Raum und schleppten den Gefangenen herein. Sie hatten dem Mann die Augen verbunden, aber ich erkannte ihn sofort. Es war der Randalierer aus der Mensa. Aldo schaute fragend zu mir herüber. Ich nickte.
»Nehmt ihm die Binde ab«, befahl mein Bruder. Die Wachen gehorchten. Der Student zwinkerte und blickte sich um, indem er sich die Arme rieb. Er sah einen dunklen, nur von Fackeln erleuchteten Raum und dreizehn Männer, die kostümiert und maskiert waren.
»Keine Ausgeherlaubnis?« fragte Aldo milde.
Der Rowdy starrte ihn an. Wahrscheinlich, überlegte ich, hatte er den Palazzo Ducale nie zuvor betreten. Wenn nicht, mußte ihn das Milieu in Panik versetzen.
»Was geht Sie das an?« konterte er. »Wenn dies einer der Streiche der Kunststudenten ist, sage ich Ihnen besser gleich, daß Sie das teuer zu stehen kommen wird.«
»Es handelt sich um keinen Streich«, bemerkte Aldo. »Hier habe ich den Befehl.«
Niemand rührte sich. Nur der Student rutschte auf seinen Schuhsohlen herum und rückte Kragen und Schlips zurecht, die in Unordnung gekommen waren, während er sich gegen seine Festnahme zur Wehr setzte.
»Was heißt hier Befehl?« fragte er aggressiv. »Bilden Sie sich ein, Sie könnten mich ins Bockshorn jagen, indem Sie sich in Maskenkostüme werfen? Mein Name ist Marelli, Stefano Marelli, und mein Vater ist Eigentümer einer Kette von Restaurants und Hotels in Rimini.«
»Ihr Vater interessiert uns nicht«, belehrte ihn Aldo. »Erzählen Sie von sich selbst!«
Der sanfte Tonfall, in dem Aldo seine Aufforderung vorbrachte, lockte Marelli in eine gewisse Vertrauensseligkeit hinein. Er bedachte unsere Runde mit einem herablassenden Blick.
»Studiere Wirtschaftswissenschaften. Im dritten Jahr«, verkündete er. »Und ob man mich exmatrikuliert oder nicht, läßt mich völlig kalt. Ich brauche keine Titel oder Diplome, um an einen Job zu kommen. Ich kann jederzeit eins der Restaurants von meinem Vater übernehmen. Zufällig ist er auch Mitglied des Interessenverbandes, dem das ›Panoramica‹ gehört. Und wer mich unter einem fadenscheinigen Vorwand davonzujagen versucht, wird es mit einer ganzen Menge einflussreicher Leute zu tun bekommen.«
»Ein wahrer Jammer«, murmelte Aldo. Dann wandte er sich an Giorgio und fragte: »Steht er eigentlich auf der Liste der Freiwilligen?«
Giorgio, der schon während des Verhörs vorsorglich eine Liste studiert hatte, schüttelte den Kopf. Der Student Marelli lachte laut auf.
»Wenn Sie auf die Kommunisten-Show anspielen, die Sie Montag abend im Theater aufgezogen haben – ich war nicht dabei«, sagte er. »Ich habe eine Freundin in Rimini und einen schnellen Wagen. Daraus dürfen Sie gern Ihre Schlüsse ziehen.«
Obwohl mir alles an seiner Person missfiel, von seiner äußeren Erscheinung bis zu dem Versuch, mich in den Brunnen zu werfen, fühlte ich ein leises Mitleid in mir aufsteigen. Jedes Wort, das er sprach, trug dazu bei, sein Schicksal zu besiegeln.
»So werden Sie sich am Festival also nicht beteiligen?« fragte Aldo.
»Am Festival?« äffte der Student ihn nach. »An diesem
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