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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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mir geschlossen. Der Page blieb draußen im Zimmer der Cherubim. Ich blickte mich um. Das Schlafgemach des Herzogs war nur halb so groß wie der davorliegende Raum und ebenfalls durch Fackeln erleuchtet, die in Wandarmen staken und beiderseits eines großen Gemäldes angebracht waren, das auf diese Weise zu besonderer Geltung kam und den ganzen Raum beherrschte. Das Bild zeigte Christi Versuchung, einen Christus, der die Züge des Herzogs Claudio trug.
    Es waren zwölf Männer anwesend, darunter der Gitarrist, der mich eingelassen hatte, alle als Höflinge der frühen Renaissance kostümiert, alle mit dem Falkenwappen auf der Brust. Auch die Kontrolleure, die am Sonnabend unsere Ausweise geprüft hatten, waren dabei und die beiden Duellanten und einige von denen, die ich Montag abend auf der Bühne gesehen hatte. Ich kam mir wie ein Idiot vor in meinem modernen Anzug und sah zweifellos auch so aus. Um mir einen Anschein von Sicherheit zu geben, schlenderte ich zu dem Gemälde hinüber und betrachtete es aufmerksam, aber niemand beachtete mich. Zwar waren sie sich meiner Anwesenheit bewußt, zogen es aber, vielleicht aus Taktgefühl, vor, mich zu ignorieren.
    Der symbolische Christus schaute in der Fackelbeleuchtung mit noch größerer Eindringlichkeit aus seinem Rahmen als bei Tage. Die Grobheit der Pinselführung fiel im Halbdunkel nicht auf und auch die ziemlich linkische Haltung der Hauptfigur nicht, die Hand am Gürtel, die ungeschickten Füße. Dafür schauten die Augen abwesend unter schweren Lidern in eine Zukunft, die in der Phantasie des Malers unmittelbar bevorgestanden haben mochte und seine Welt bedrohte oder – vielleicht – in aller Ruhe darauf wartete, die unsere zu bedrohen. Auch Satan, der Versucher, trug die Züge Christi, nur daß er im Profil gezeigt war. Was zweifellos nicht auf einen Mangel an Modellen, sondern auf den Versuch des Malers schließen ließ, eine, seine Wahrheit kühn zu enthüllen.
    Das Bildnis hatte vielleicht nicht mehr die Macht, die Menschen mit Entsetzen zu erfüllen. Aber es löste immer noch Unbehagen aus, und ich fragte mich, wie es fünf Jahrhunderte überlebt hatte, obwohl es Spießer und Barbaren in Verwirrung gestürzt haben mußte und die Kirche verhöhnte. Die Touristen von heute würden, Auge auf der Armbanduhr, die Botschaft ohnehin nicht vernehmen und sich keine Fragen stellen.
    Ich fühlte eine Hand auf meiner Schulter. Mein Bruder stand hinter mir. Er mußte durch den Ankleideraum und die Kapelle auf der anderen Seite hereingekommen sein.
    »Was sagt es dir?« fragte er.
    »Du weißt doch, daß ich früher seine Rolle gespielt habe, wie die des Lazarus. Und nie freiwillig«, antwortete ich.
    »Das wirst du vielleicht wieder tun«, sagte er.
    Dann drehte er mich mit einem Schwung zu seinen zwölf Gefährten herum.
    Aldo trug, abgesehen von der Farbe, das gleiche historische Kostüm wie alle anderen. Wie der Versucher war er ganz in Schwarz gekleidet.
    »Dies ist unser Falke«, sagte er. »Er soll den Herzog Claudio auf dem Festival spielen.«
    Die zwölf Männer sahen mich an und lächelten. Einer von ihnen griff nach einem safranfarbenen Gewand, das auf einem Schemel neben dem Eingang zur Kapelle lag, und legte es mir mitsamt einem Gürtel um. Ein anderer kam mit einer goldlockigen Perücke und zog sie mir schnellstens über den Kopf. Ein dritter brachte einen Spiegel.
    Die Zeit war aufgehoben; die Gegenwart genauso wie die verflossenen Jahrhunderte. Ich war zurückgekehrt in meine Kindheit, in das Schlafzimmer in der Via del Sogni. Ich hielt still und gehorchte den Befehlen meines Bruders. Die Männer um ihn herum verwandelten sich in seine Schulgefährten von einst. Und wie ich damals jammerte, daß ich nicht mitspielen wolle, so stammelte ich jetzt, doch wie ich hoffte, in der Sprache der Erwachsenen: »Aldo, ich möchte lieber nicht teilnehmen. Ich bin hergekommen, um euch zuzuschauen, aber nicht, um mitzutun.«
    »Das spielt keine Rolle«, sagte Aldo. »Wir sind alle gleichermaßen engagiert. Du hast die Wahl: Entweder spielst du den Falken und erlebst damit eine kurze Stunde abenteuerlichen Ruhmes, wie sie sich in deinem Leben niemals wiederholen wird. Oder aber wir jagen dich hinaus in die Straßen von Ruffano. Und du wirst keinen Ausweis haben, wenn die hiesige Polizei, die, wie ich vorhin hörte, in ständiger Verbindung mit der römischen Polizei steht, dich aufgreift und verhört.«
    Keines der jungen Gesichter um mich herum wirkte feindselig. Sie

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