Das Geheimnis des Falken
Hügeln gehört, wo seine Freunde, die Partisanen, vom Feind gefoltert wurden. Und auch Antonio und Roberto haben sie gehört. Wenn man dich hier zurückgelassen hätte, Beato, hättest auch du sie vielleicht gehört. Aber du hast Glück gehabt. Du standest unter dem Schutz der Eroberer und hattest ein wohlbehütetes Leben.«
Ich nahm meine Maske ab und versuchte in den todernsten Gesichtern der anderen zu lesen, horchte aber zugleich nach Geräuschen aus dem oberen Stockwerk. Aber alles blieb unheimlich still.
»Das ist kein Ausgleich«, sagte ich, »ihr könnt den Studenten da oben nicht um gewisser Dinge willen quälen, die in der Vergangenheit geschehen sind.«
»Er wird nicht gefoltert«, sagte Aldo. »Allenfalls wird ihm Frederico einen Knallfrosch auf den Kopf setzen und ihn davonjagen. Das ist nicht angenehm, aber heilsam. Stefano wird für die Zukunft daraus lernen und erst einmal nachdenken, bevor er Leute, die kleiner sind als er, in einen Brunnen taucht. Vielleicht wird er seinen zukünftigen Gästen in seinen Rimini-Restaurants sogar anständigere Spaghettiportionen servieren, als er es sonst getan hätte.«
Aldo winkte Giorgio heran: »Erzähl Beo bitte, was sich bei dem Rizzio-Überfall in Wahrheit zugetragen hat«, sagte er.
Giorgio war einer von der Leibwache, den ich schon vom Sonnabend her kannte. Er war der Junge, der bei Monte Cassino geboren war und die Eltern während des Bombardements verloren hatte. Er war ein großer, breitschultriger junger Bursche, mit einem ungebärdigen Haarschopf, und sah mit seiner Maske seltsam bedrohlich aus.
»Der Einbruch machte überhaupt keine Schwierigkeiten«, berichtete er, »und die Mädchen, die wir einschlossen, schienen geradezu enttäuscht, weil wir ihnen nichts taten. Fünf von uns machten sich dann auf zum Zimmer der Signorina Rizzio und klopften an. Sie war im Morgenrock. Sie dachte, daß eins ihrer Mädchen geklopft hätte. Als sie uns sah – gefährlich, wie wir mit unseren Masken wirkten –, versicherte sie eilig, daß sie hier im Pensionat keine Wertsachen bei sich hätte. Professor Rizzio bewahre alles im Safe auf. Ich sagte darauf: ›Signorina Rizzio, die größte Kostbarkeit in diesem Pensionat ist Ihre Person. Wir sind Ihretwegen gekommen.‹
Sie hätte aus meinen Worten schließen können, daß ich eine Entführung im Sinne hatte. Aber sie dachte an das Nächstliegende. Wenn wir darauf aus seien, sagte sie ohne Zögern, sollten wir uns an die Mädchen halten. Die würden sich nicht sträuben. Wir sollten mit den Mädchen machen, was wir wollten, solange wir sie selbst in Ruhe ließen.
Ich wiederholte meine Warnung: ›Signorina Rizzio!‹ sagte ich noch einmal, ›wir sind Ihretwegen hier!‹ Daraufhin fiel sie zum Glück, jedenfalls zu unserem Glück – in Ohnmacht. Wir legten sie aufs Bett und warteten darauf, daß sie wieder zu sich kam. Als es nach etwa fünf Minuten soweit war, standen wir alle fünf an der Tür. Wir bedankten uns für ihr Entgegenkommen und entschwanden. So hat sich die Vergewaltigung der Signorina Rizzio abgespielt, Armino. Alles übrige hat sie selbst erfunden.«
Giorgio sah gar nicht mehr ernst aus. Er lachte, und alle anderen lachten mit.
Ich verstand sie. Ich verstand, daß sie lachten. Ich wußte den Streich zu schätzen, den sie sich geleistet hatten. Und doch …
»Und Professor Elia?« fragte ich, »gehörte das auch ins Programm?«
Giorgio schaute Aldo an, und Aldo nickte.
»Damit hatte ich nichts zu tun«, sagte Giorgio, »das war Lorenzos Sache.«
Lorenzo stammte aus Mailand, wie der Leiter der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, und er war nur halb so groß wie der Mann, den er geholfen hatte so unbarmherzig bloßzustellen. Er wirkte drückebergerisch, mißtrauisch und hatte den verschleierten Blick eines unschuldigen Kindes.
Er sprach sehr leise. »Einige meiner Freunde unter den WW-Studenten«, sagte er, »haben von Zeit zu Zeit unter den Aufmerksamkeiten ihres Direktors beträchtlich zu leiden gehabt. Studenten weiblichen wie männlichen Geschlechts. Wir haben, nach Rücksprache mit Aldo, unseren Feldzug entsprechend angelegt. Unter den gegebenen Umständen war es eine Kleinigkeit, ins Haus zu gelangen. Professor Elia dachte angesichts unserer Masken im ersten Augenblick, daß es sich um ein studentisches Vorspiel zu seinem Auftritt im ›Panoramica‹ handle. Allerdings sah er sich schnell vom Gegenteil belehrt.«
Also hatte ich mich nicht getäuscht. Mein Bruder hatte in
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