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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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sahen freundlich aus und erbarmungslos. Sie standen da und warteten auf meine Antwort.
    »Hier bist du in Sicherheit«, sagte Aldo, »bei mir wie bei ihnen. Alle zwölf haben geschworen, dich zu schützen, was immer geschieht. Wenn du jetzt aus dem Palast allein auf die Straße gehst, sehen wir dich vielleicht niemals wieder.«
    Irgendwo in der Stadt lief vielleicht mein Polizeibeamter aus Rom herum: Womöglich promenierte er in Zivil im Zentrum oder auf der Via Vittorio Emanuele, oder er paßte an der Porta di Malebranche auf oder am Bluttor, wo der Sicherheitsdienst postiert war.
    Ich hatte keine Wahl. Beide Möglichkeiten erfüllten mich mit Grauen. Aber Aldos Vorschlag entsetzte mich nicht ganz so wie die Alternative, die mir geboten wurde.
    Die Stimme, mit der ich antwortete, war nicht die Stimme eines erwachsenen Menschen. Sie klang in meinen eigenen Ohren wie das gespenstische Echo auf die Stimme eines siebenjährigen Kindes, das im Leichentuch des Lazarus lebendig begraben wurde.
    »Was habe ich zu tun?« fragte ich meinen Bruder.

16. Kapitel
    Wir gingen zum Audienzsaal hinüber. Hier war es, wo der Wandteppich an der Westmauer jene Tür tarnte, die zum zweiten der Zwillingstürme führte und von wo mich der Wärter bei meinem ersten Besuch vor fast einer Woche vertrieben hatte. Heute abend gab es kein Wärter, es gab nur Aldo und seine Leibgarde. Der Wandteppich hing harmlos wie immer da und ließ nicht ahnen, daß sich hinter ihm die verborgene Tür und die enge Wendeltreppe verbargen.
    Auch der Audienzsaal war durch Fackeln erhellt. Linkerhand stand auf seiner Staffelei das ›Porträt einer adeligen Dame‹, das mein Vater so geliebt hatte und das mich an Signora Butali erinnerte.
    In der Mitte des Raumes war ein langer hölzerner Tisch aufgestellt worden mit Gläsern und einer Karaffe Wein. Aldo trat an den Tisch und goß für jeden von uns ein Glas ein.
    »Du wirst gar nichts zu tun haben«, sagte er, indem er endlich auf meine Frage antwortete, »außer mir zu gehorchen, wenn es soweit sein wird. Schauspielerische Leistungen werden nicht von dir verlangt. Mit deinem Training als Reiseleiter wirst du deine Rolle ganz von selbst vollendet spielen.«
    Lachend hob er sein Glas und befahl: »Trinkt auf meinen Bruder!« Daraufhin griffen alle wie ein Mann nach ihren Gläsern und riefen »Armino«, die Gesichter mir zugewandt.
    Dann stellte mir Aldo seine Garde im einzelnen vor, indem er rund um den Tisch ging, einen jeden auf die Schulter schlug und seinen Namen nannte.
    »Giorgio, geboren bei Monte Cassino, während des Bombardements die Eltern verloren, von Verwandten aufgezogen … Domenico, geboren in Neapel, Eltern an Tbc gestorben, auch von Verwandten aufgezogen … Romano, nach dem deutschen Rückzug verlassen in den Hügeln gefunden, von den Franziskanern aufgenommen … Ebenso Antonio … Ebenso Roberto … Guido, Sizilianer, Vater von der Mafia ermordet, von zu Hause weggelaufen, im Armenhaus groß geworden … Pietro, Eltern bei der großen Überschwemmung in der Po-Ebene ertrunken, von überlebenden Nachbarn aufgenommen … Sergio, im Konzentrationslager geboren, Mutter lebt noch … Ebenso Frederico, aber Eltern sind tot, wurde von einem Onkel erzogen … Giovanni, in Rom geboren und an einer Kirche ausgesetzt, von Pflegeeltern aufgenommen … Lorenzo aus Mailand, Vater starb, Mutter heiratete wieder, einen Sadisten, riß aus, arbeitete in einer Fabrik, um das Geld für die Universität zusammen zu bekommen … Cesare, geboren in Pesaro, Vater auf See ertrunken, Mutter bei der Geburt des zweiten Kindes gestorben, wuchs im Waisenhaus auf …«
    Damit war Aldo am Ende des Tisches angelangt. Er legte mir die Hand auf die Schulter: »Armino, in der Familie Beo genannt oder Il Beato, der Glückliche, wegen seiner hübschen Locken und seines engelhaften Charakters. Geboren in Ruffano, Vater starb in einem alliierten Gefangenenlager, Mutter flüchtete mit deutschem Offizier unter Mitnahme des Jungen, heiratete später in Turin. Vom Stiefvater erzogen. Und jetzt kennt ihr oder richtiger erkennt ihr euch in euren Schicksalen. Ihr seid die Verlassenen und die Verlorenen, die Verachteten und die Verschmähten. In der Welt herumgestoßen, von Verwandten oder Fremden aufgenommen, die taten, was sie konnten, und nicht mehr. Ich trinke auf euch.«
    Wieder hob er sein Glas, nickte den Zwölfen zu und dann auch mir und trank. »Und nun an die Arbeit!« sagte er und setzte das Glas ab. Giorgio, der

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