Das Geheimnis des Falken
anstatt direkt hierher zu kommen. Wir waren halb und halb zum Mittagessen verabredet. Wie Sie sehen und hoffentlich zu schätzen wissen, habe ich ihm Ihretwegen abgesagt. Nein, nein, keine Angst, wir gehen nicht aus. Ich mache uns eine Omelette.«
Sie nahm die Beine mit Schwung von der Couch und strich sich die Haare glatt.
»Dann halten Sie mich am Ende doch nicht für einen Mörder?« fragte ich.
»Nein«, gestand sie, »ehrlich gesagt – ich halte Sie nicht einmal für fähig, eine Wespe umzubringen, geschweige denn eine alte Frau!«
Ich folgte ihr in die Küche. Sie begann mit allerlei Pfannen zu hantieren und Geschirr von einem Gestell zu nehmen. Ich setzte mich auf einen Stuhl und sah ihr zu. Meine Beichte hatte befreiend gewirkt. Unsere seltsame Freundschaft funktionierte plötzlich viel besser.
»Ich vermute, Sie erwarten, daß ich Sie aus Ruffano hinausbringe«, sagte sie, »und das dürfte auch nicht allzu schwierig sein. Ich kann den Wagen jederzeit wieder ausleihen.«
»Nein, nicht aus Ruffano hinaus«, sagte ich. »Nur den Hügel hinauf zu einem Haus in der Via del Sogni.«
»Sie haben demnach einen Freund, der alles von Ihnen weiß?«
»Ja«, sagte ich.
Sie summte leise vor sich hin, während sie Eier in einer Schale schlug und eifrig zu rühren begann.
»Sie möchten mir nicht sagen, wer das ist?« fragte sie.
Ich zögerte. Ich hatte, jedenfalls für den Augenblick, bereits mein Schicksal in ihre Hände gelegt und sah nicht ein, wieso ich ihr obendrein meinen Bruder ausliefern sollte.
»Sie brauchen mir nichts zu sagen«, unterbrach sie meine Überlegungen, »ich habe es schon erraten. Sie vergessen, daß Ruffano eine sehr kleine Stadt ist. Meine Zugehfrau wohnt in der Nähe von Ognissanti, und sie hat mir alles über die Vergangenheit der ermordeten Frau erzählt. Die alte Marta war viele Jahre lang bei den Donatis im Dienst und hat Aldo Donati betreut, als er noch ein kleiner Junge war. Vielleicht waren Sie als Kind bei ihm zu Hause und erinnern sich deshalb an Marta?«
Ihre Intuition war staunenswert. Zwar hatte sie die Wahrheit nicht ganz getroffen, aber das konnte mir nur recht sein.
»Ja«, sagte ich, »so war es tatsächlich.«
Die Pfanne begann zu dampfen. Sie tat die Eier hinein.
»Und infolgedessen sind Sie hingegangen und haben Donati die ganze Geschichte erzählt«, fuhr sie fort, »und anstatt daß er Ihnen den Rat gab, sofort das Weite zu suchen, schlug er vor, daß Sie erst einmal bleiben und abwarten sollten.«
»So ungefähr.«
»War das am letzten Sonntag?«
»Ja«, sagte ich.
»Dann waren Sie es also, mit dem Donati den ganzen Nachmittag und auch noch den Abend verbracht hat?«
»Ja«, sagte ich wieder.
Die Omelette war fertig. Sie ließ sie auf eine Platte gleiten, die sie zwischen unsere Teller auf den Tisch stellte.
»Essen Sie, solange es heiß ist«, empfahl sie und zog sich einen Stuhl heran.
Ich gehorchte, während ich mich auf ihre nächste Frage gefaßt zu machen versuchte. Aber sie schwieg, während wir aßen, und stand nach einer Weile nur auf, um eine Schüssel mit Salat und eine Flasche Wein zu holen. Dabei trug sie ein rätselhaftes Lächeln zur Schau. Ich wurde neugierig.
»Weshalb lächeln Sie?« fragte ich.
»Mir dämmert's«, sagte sie. »Ich hätte es mir schon vorher zusammenreimen sollen, als Ihr edler Freund sich nicht einmal die Mühe nahm, auf meinen Brief zu antworten. Er ist an Frauen nicht interessiert. Ein Spielgefährte von früher sagt ihm mit großer Sicherheit mehr zu, besonders einer mit einem Kindergesicht wie dem Ihren .«
Das war eine sonderbare Hypothese, die niemand mehr amüsieren würde als Aldo. Ich wußte nicht recht, ob ich es bestreiten oder passieren lassen sollte.
»Meine Güte, ja«, sinnierte sie, »die Welt ist voll von diesen Typen, obgleich ich nie vermutet hätte, daß er dazu gehört. Da sieht man wieder einmal, wie man sich irren kann. Immerhin, es bedeutet einen Ansporn. Jene Art von Abenteuern verlieren mitunter ganz plötzlich ihren Reiz.«
Sie spießte gedankenvoll ihre Salatblätter auf und schaute an mir vorbei ins Leere.
»Unter den Studenten hat es schon allerhand seltsames Gerede gegeben«, sagte sie grüblerisch. »Wegen jener Proben hinter verschlossenen Türen. Dahinter könnte sich auch etwas anderes verbergen. Wenn ja, dann hat mich Donati am Sonnabend zum Narren gehalten. Ich wäre ihm gefolgt – bis in den Tod.«
Ich hütete mich, etwas zu bemerken. Jedweder Kommentar konnte auf
Weitere Kostenlose Bücher