Das Geheimnis des Falken
erschütterten schwere Schritte den Fußboden der Wohnung über unseren Köpfen.
»Das ist mein Nachbar, der Autobesitzer«, sagte Carla. »Er pflegt sich eine volle Stunde fürs Mittagessen zu nehmen, manchmal auch länger. Ich frage mich, seit wann er zurück ist.«
Sie ging auf den Treppenflur hinaus und die Treppe halb hinauf.
»Walter!« rief sie. »Kann ich deinen Wagen für eine halbe Stunde bekommen? Ich habe etwas Dringendes zu erledigen und schaffe es zu Fuß einfach nicht.«
Der Obermieter antwortete etwas, was ich hier unten nicht verstand.
»Aber sicher«, sagte Carla, »bis halb drei hast du das Auto wieder!«
Fröhlich kam sie ins Zimmer zurück. »Er ist sehr gefällig«, stellte sie fest. »Aber natürlich tue ich das Meine dazu. Und Sie sehen, es zahlt sich aus! Lassen Sie uns eben unseren Kaffee trinken, und dann brechen wir auf. Vielleicht finden wir Ihren illustren Freund noch beim Lunch.«
»Soll ich ihn vorher anrufen?« fragte ich.
Sie zögerte, dann schüttelte sie den Kopf.
»Nein«, sagte sie entschlossen, »er könnte versuchen, Sie abzuwimmeln, und ich habe keine Lust, mir die eine und einzige Gelegenheit zu verscherzen, meinen Fuß in sein Haus zu setzen.«
Mir blieb nichts anderes übrig, als mich zu fügen. Ich konnte nur hoffen, daß mein Bruder nicht zu Hause sein und Jacopo mir Zuflucht gewähren würde.
Wir tranken unseren Kaffee aus. Dann ging Carla ins Badezimmer. Als sie zurückkam, war die Duftwelle, die von ihr ausging, stärker geworden und das Make-up ihrer Lider schwärzer.
»Kriegsbemalung«, sagte sie knapp, »nicht, daß ich mir Illusionen mache, aber man kann nie wissen.«
Ich schaute auf die Straße hinunter. Es war kein Mensch in der Nähe.
»Ich bin soweit«, sagte ich und folgte Carla die Treppe hinunter ins Freie. Sie setzte sich ans Steuer.
»Ich werde chauffieren«, sagte sie, »und Sie lehnen sich schön zurück. Falls die Straßen von Polizei und Zivilbeamten wimmeln sollten, wird trotzdem kein Mensch nach Ihnen schauen, solange ich als Blickfang am Steuer sitze.«
Ihr unverwüstlicher Humor steckte mich an. Zum ersten Mal seit Beginn dieses Tages war mir zum Lachen zumute. Sie ließ den Wagen an und steuerte auf die Via del Sogni zu. Sie fuhr auf eine unberechenbare, höchst eigenwillige Art, aber schnell. Zweimal hätten wir um ein Haar Fußgänger unter die Räder gebracht, die versuchten, die Straße zu überqueren.
»Passen Sie auf!« mahnte ich, »oder die Polizei wird sich auch noch für Sie interessieren.«
Sie fuhr einen Umweg über die Via delle Mura, um nicht am Haus des Präsidenten vorbei zu kommen. So mußten wir den steilen Abhang von San Donato nehmen, den der Fiat, langsam, mit heftigen Hüpfern, erklomm, bis er keuchend vor Aldos Haus hielt.
Vor dem Eingang – kein Ferrari, was mir einen Seufzer der Erleichterung entlockte.
Meine Gefährtin stieg aus und blickte sich um, während ich auf die Uhr sah. Es war fast ein Uhr dreißig.
»Gehen Sie voraus«, befahl Carla Raspa, »und bilden Sie sich ja nicht ein, daß Sie mich loswerden. Ich bleibe.«
Ich klingelte an Aldos Haustür und schickte Stoßgebete zum Himmel, daß Jacopo uns öffnen möge. Und Jacopo öffnete. Aber er wirkte betreten bei meinem Anblick, und mehr noch, als er feststellte, daß ich nicht allein war.
»Der Professor ist nicht zu Hause«, sagte er prompt.
»Das macht nichts«, erwiderte ich. »Ich werde drinnen warten. Die Dame ist Signorina Raspa. Ich versprach, ihr das Porträt im Wohnzimmer zu zeigen – die Signorina interessiert sich für Malerei –, und dann geht sie wieder.«
Jacopos Verlegenheit steigerte sich: »Es wartet bereits Besuch auf Professor Donati«, begann er, aber Carla Raspa, wild entschlossen, sich nicht aus dem Felde schlagen zu lassen, drängte sich lächelnd an ihm vorbei. »Dann sind wir eben unser drei«, sagte sie munter.
Ich lief hinter ihr her, um sie daran zu hindern, ins Wohnzimmer einzudringen, aber es war zu spät. Sie hatte die Tür schon geöffnet. Eine Dame saß auf dem Sofa. Als sie uns erblickte, erhob sie sich in schweigendem Protest. Dann sah sie ein, daß es kein Entrinnen gab, und blieb stehen.
Es war Signora Butali.
19. Kapitel
Ich weiß nicht, welche der beiden Frauen überraschter war und welche das größere Unbehagen empfand! Jedenfalls fiel es mir zu, die Situation zu retten. Der Reiseleiter hatte das Wort.
»Verzeihen Sie, Signora«, sagte ich, »aber Professor Donati sagte mir, ich möchte
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