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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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wieder herunterkommen. Aber vielleicht trank auch er einen Kaffee – mit Signora Silvana. Ich tat so, als vertiefte ich mich in die Zeitschrift. Nach etwa fünf Minuten kam die Frau aus der Küche zurück. Sie hatte sich eine Strickjacke übergezogen und trug ein Einkaufsnetz.
    »Also, ich gehe«, sagte sie. »Hoffentlich verleben Sie einen netten Tag mit der Signorina!«
    »Vielen Dank«, sagte ich.
    Ich sah ihr nach, als sie die Via San Michele hinunterging, und blieb weiter am Fenster stehen, den Blick auf Nummer 24 geheftet. Aber niemand erschien. Der Agent mochte schon vor einiger Zeit weggegangen sein, vorhin, als die Reinmachefrau mir den Kaffee anbot.
    Inzwischen war er vielleicht längst in der Universität und machte Recherchen im Sekretariat oder auch in der Bibliothek. Damit war die Bibliothek für mich jetzt genauso tabu wie die Pension. Ich hatte keine Zuflucht mehr, außer der Wohnung, in der ich saß, und dem Haus meines Bruders in der Via del Sogni natürlich. Wenn ich aber Carlas Wohnung verließ und zum Haus meines Bruders hinaufging, riskierte ich, den Agenten unterwegs zu treffen. Vielleicht hatte er sich sogar irgendwo in der Via San Michele versteckt und wartete darauf, daß ich in die Pension zurückkam.
    Ich zog ein Päckchen Zigaretten heraus und begann zu rauchen.
    Ich mußte an den Studenten Marelli denken, der sich am Fuß der Theatertreppe das Genick gebrochen hatte. Auf derselben Treppe war ich letzten Freitag dem verstörten Jungen begegnet. Damals hatte kein Ausgehverbot bestanden, aber Aldos Wachen mußten ihn im Rahmen eines ihrer phantastischen historischen Spiele vernommen haben. Diesmal hatte das Spiel mit dem Tod eines Studenten geendet. Waren die Waagschalen der himmlischen Gerechtigkeit damit endlich ins Gleichgewicht gebracht? Konnte jetzt Schluß sein? War das Spiel aus?
    In seiner Eigenschaft als Direktor des Kunstrats war Aldo Mitglied des Universitätsausschusses und würde also auch an der Sitzung teilnehmen, die der Präsident für den Nachmittag anberaumt hatte. Und wie alle anderen würde er die Erklärung akzeptieren, die man für Marellis Tod gefunden zu haben glaubte, daß nämlich der Student Angst bekommen habe und vor einer Patrouille davongelaufen sei. Aber in seinem Herzen mußte er sich zugeben, welches der wirkliche Grund war.
    Ich schaute auf meine Uhr. Es war fünfundzwanzig Minuten vor elf. Ich hatte keine Ahnung, wann die Zeremonien an der Universität zu Ende sein würden, nahm aber an, daß sie nicht länger als bis zum Mittag dauerten.
    Ich begann, im Zimmer auf und ab zu laufen und schaute dann wieder aus dem Fenster. Alles still vor der Nummer 24.
    Wie sollte ich nur Carla Raspa meine Anwesenheit plausibel machen, wenn sie zurückkam? Seit jenem Dienstagabend, als ich sie so ungalant und kaltschnäuzig hatte sitzen lassen, waren wir uns nicht mehr begegnet.
    Die Wahl des Augenblickes, mich bei ihr zu entschuldigen, mußte ihr sonderbar erscheinen …
    Dann fiel mir plötzlich wieder ein, daß Giuseppe Fossi die letzte Nacht bei ihr verbracht hatte. Vielleicht kam er gleichzeitig mit ihr zurück. Ich stöberte im Zimmer herum, fand aber kein Anzeichen dafür, daß ein Mann darin kampierte. Die Schränke, die ich öffnete, waren angefüllt mit Carla Raspas Sachen, die zusammengeknäult dalagen oder irgendwie herumhingen und den Duft ihres Spezialparfüms ausstrahlten.
    Ich ging ins Badezimmer. Flaschen, Cremetöpfe und nur ein Morgenrock. Keine Rasiercreme, kein Pinsel. Wahrscheinlich war Fossi fort, wieder ausgezogen. Über dem Bad hing ein hastig durchgespültes Nachthemd schlaff von einem Bügel herab. Das Bidet war voll von Seifenlauge, in der ein Bündel Strümpfe zum Einweichen lag. Mir wurde übel bei dem Anblick.
    Es würgte mich im Hals, als ich in die Küche zurückging. Diese Art von intimer Unordnung erinnerte mich an die Hotelschlafzimmer in Frankfurt und anderen Städten, in denen ich vor vielen Jahren gewohnt hatte und wo Seite an Seite mit den Dessous meiner Mutter, die auf ähnlich flüchtige Art gewaschen und gespült waren, Männersocken und Taschentücher hingen, Zahnbürsten und Haarwasser herumstanden. Und in der Badewanne lagen ausgekämmte Haare. Ich war damals ein Junge von elf oder zwölf. Mein Magen rebellierte. Der Geruch der Liebesnächte verfolgte mich über Deutschland hinaus bis nach Turin. Er verfolgte mich noch.
    Wieder setzte ich mich ans offene Fenster und steckte mir eine neue Zigarette an. Ich überlegte, was

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