Das Geheimnis des Falken
sie und setzte ihr Glas ab. »Dann haben Sie also doch ein Verbrechen begangen, oder machen Sie Spaß?«
»Ich habe kein Verbrechen begangen«, sagte ich, »aber ich bin vor zehn Tagen durch Zufall auf den Schauplatz einer Mordtat geraten, und ich habe den Verdacht, daß die Polizei mich zu vernehmen wünscht.«
Sie sah mir an, daß ich nicht scherzte und gab mir eine von ihren Zigaretten.
»Sie meinen nicht etwa den Mord an jener alten Frau in Rom?« fragte sie.
»Doch«, sagte ich. »Ich gab ihr in der Nacht, in der sie ermordet wurde, einen Zehntausend-Lire-Schein. Warum es dazu kam, tut im Augenblick nichts zur Sache. Am nächsten Morgen erfuhr ich, daß man sie umgebracht hatte. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß ich es nicht war. Aber ich hatte ihr das Geld gegeben, vielleicht nur wenige Minuten, bevor der Mord geschah. Meine Lage ist daher prekär.«
»Wieso?« fragte sie. »Sie haben den Mann doch erwischt, oder? Das stand jedenfalls in der Zeitung.«
»Sie haben ihn zwar erwischt«, klärte ich sie auf, »und er gibt den Diebstahl der zehntausend Lire auch zu, aber er leugnet den Mord.«
Sie zuckte die Achseln. »Das würde ich auch tun«, sagte sie. »Alles übrige ist Sache der Polizei. Warum machen Sie sich deswegen Sorgen?«
Ich sah ein, daß ich etwas deutlicher werden mußte, und erzählte ihr von den englischen Touristinnen und daß ich die Leiche in Augenschein genommen hatte, ohne der Polizei etwas von dem Geldgeschenk zu sagen, und daß ich am Tage darauf nach Ruffano abgereist war.
»Warum das?« fragte sie.
»Weil ich die Frau erkannt hatte«, sagte ich, »und da ich ganz sicher gehen wollte, kam ich hier her, um die Sache zu klären.«
Sie trank ihr Glas aus und schenkte uns ein zweites ein. Sie gab sich immer noch ungezwungen, war aber doch schon ein wenig mehr auf ihrer Hut.
»In der Zeitung stand, daß die Frau aus Ruffano stammte«, sagte sie, »wieso kannten Sie sie dann?«
»Ich bin aus Ruffano«, sagte ich. »Ich habe hier bis zu meinem elften Jahr gelebt.«
Über den Tisch hinweg warf sie mir einen überraschten Blick zu, dann füllte sie ihr Glas von neuem und zog sich auf die Couch zurück, wo sie sich sämtliche Kissen in den Rücken stopfte.
»Sie haben sich in der Woche hier ganz hübsch durchgelogen, was?« bemerkte sie.
»Wenn Sie so wollen …«
»Und jetzt sind Ihnen Ihre Lügen auf den Fersen, nicht wahr?«
»Weniger die Lügen als die Tatsache, daß ich der Polizei in Rom die Wahrheit vorenthalten habe«, sagte ich. »Außerdem muß ich befürchten, am letzten Dienstag bei Martas Beerdigung von einem Beamten in Zivil wieder erkannt worden zu sein. Diese Begegnung war sicher kein Zufall. Vor einer Stunde nämlich stellte er Nachforschungen in Nummer 24 an. Ich sah ihn von der gegenüberliegenden Straßenseite aus und rettete mich hierher.«
Sie lehnte sich gegen ihren Kissenberg und blies Rauchringe in die Luft. »Zufall oder nicht«, sagte sie, »jedenfalls ist die Sache verdächtig. Aber wenn sie den Mann in Rom gefaßt haben, was machen sie sich dann ausgerechnet Ihretwegen hier in Ruffano zu schaffen?«
»Das habe ich Ihnen doch schon erklärt«, sagte ich, »er leugnet den Mord. Womöglich glauben sie ihm und setzen deshalb die Suche nach dem Täter fort.«
Sie überlegte einen Augenblick, dann schaute sie zu mir herüber:
»Könnte sein, daß auch ich ihm glaube«, sagte sie.
Ich zuckte die Achseln und zog mich in Richtung auf die Tür zurück. »In diesem Fall sollte ich mich wohl lieber verabschieden«, sagte ich. »Sie könnten mich der Polizei per Telefon ausliefern …«
In diesem Augenblick klingelte der Apparat. Ich hatte das Gefühl, daß das Schicksal war, und Schicksal war es. Carla gab mir mit einem Wink zu verstehen, daß ich bleiben möchte, und nahm erst dann den Hörer ab.
»Ja«, sagte sie, »ja, Giuseppe … zum Mittagessen?« Sie zögerte, indem sie zu mir herüberschaute, und schüttelte dann den Kopf. »Nein, das ist ganz unmöglich. Ich erwarte Besuch. Einen Studenten und seine Mutter. Sie müssen jeden Augenblick kommen. Gestern abend wußte ich noch nichts davon. Sie riefen heute früh an, kurz nachdem du gegangen warst. Ich weiß nicht, Giuseppe, zurzeit möchte ich mich nicht festlegen … Wenn ich es einrichten kann, rufe ich dich heute nachmittag in der Bibliothek an. Bis dann.«
Sie legte lächelnd auf. »Damit ist er für ein paar Stunden abgefunden«, sagte sie. »Sie haben Glück, daß er angerufen hat,
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