Das Geheimnis des Falken
doch bei ihm hereinschauen. Leider bin ich wohl ein wenig zu früh gekommen. Darf ich Ihnen Signorina Raspa vorstellen, die so liebenswürdig war, mich hier abzusetzen?«
Das kühle Lächeln, das über ihr Gesicht huschte, erlosch gleich wieder. Ihre Augen waren abwesend und suchten nur sekundenlang in stummem Vorwurf Jacopos Blick.
»Guten Tag, Signorina«, sagte sie.
Da Carla Raspa die Neugierigere der beiden war, faßte sie sich schneller. In einer Art ungestümer Selbstsicherheit ging sie auf Signora Butali zu und streckte ihr die Hand hin.
»Wir haben uns nie persönlich kennen gelernt, Signora«, sagte sie, »und wie sollten wir auch! Zwar haben wir beide teil am Leben der Universität, aber wir gehören dennoch verschiedenen Welten an. Ich bin schließlich nur ein bescheidenes Mitglied der Fakultät der Schönen Künste und verbringe den Hauptteil meiner Zeit damit, alle möglichen Studenten durch den herzoglichen Palast zu führen. Hoffentlich geht es dem Präsidenten besser. Ich habe eben erst gehört, daß er wieder da ist.«
»Vielen Dank«, sagte Signora Butali, »es geht ihm besser, aber er ist noch sehr erschöpft. Wir sind gestern abend angekommen.«
»… um ganz Ruffano in Aufruhr zu finden und obendrein auch noch von dem tödlichen Unfall jenes Studenten zu erfahren. Was für eine traurige Heimkehr! Es tut mir so schrecklich leid für Sie beide.«
Der Augenblick, um sich auf das Thema des Tages zu stürzen, war nicht gut gewählt. Signora Butali gefror. »Der Unfall war in der Tat tragisch«, sagte sie, »aber von einem Aufruhr ist mir nichts bekannt und meinem Mann auch nicht.«
Carla Raspa wandte sich mit einem Lächeln zu mir. »Professor Butali und die Signora sind glücklich daran«, bemerkte sie, »wir jedenfalls haben gestern abend eine höchst turbulente Szene mit ansehen müssen. Aber vielleicht wird man den Fall auf der Sitzung ja noch zur Sprache bringen.« Damit schaute sie wieder Signora Butali an: »Der Bibliothekar Giuseppe Fossi, ein guter Freund von mir, erzählte mir, daß man sich um Viertel vor zwei in Ihrem Hause versammelt.«
Die Signora neigte den Kopf. Offenbar hielt sie jeden Kommentar für überflüssig. Verlegenes Schweigen machte sich breit. Jacopo, der noch eine Weile an der Tür herumgestanden hatte, verschwand und überließ mich meinem Schicksal und der Pflicht, die Initiative zu ergreifen. Ich schaute auf die Uhr.
»Vergessen Sie nicht, daß Ihr Nachbar auf den Wagen wartet!« erinnerte ich Carla Raspa.
»Es ist noch Zeit«, erklärte sie, »ich habe versprochen, das Auto um halb drei zurückzubringen. Was für ein bezauberndes Zimmer!«
Sie verschlang Mobiliar und Dekor mit gierigen Augen und baute sich schließlich vor dem Porträt unseres Vaters auf.
»Ich vermute, dies ist Donati der Ältere«, sagte sie. »So gut wie der Sohn sieht er nicht aus. Der verheerende Charme des Professors geht ihm ab. Diese Dinge müssen doch alle noch aus dem alten Haus stammen … War die Adresse nicht Via del Sogni Nummer 8? War es nicht dasselbe Haus, in dem Sie heute wohnen, Signora?«
Sie warf Signora Butali einen herausfordernden Blick zu.
Diese glich mehr denn je der ›adeligen Dame‹ auf dem Gemälde im Palazzo Ducale, als sie wiederum, mit dem ganzen Hochmut der vornehmen Florentinerin, den Kopf neigte.
»Das ist richtig«, antwortete sie, »wir fühlen uns dort sehr wohl.«
»Ich frage mich, ob das Professor Donati nicht stört«, lächelte Carla Raspa.
»Er hat dergleichen nie zu verstehen gegeben«, kam gelassen die Antwort.
Die Atmosphäre, die bereits denkbar kühl war, drohte vollends zu vereisen. Da sich die Signora, die vor uns gekommen und älter war als wir beide, nicht wieder setzte, standen wir alle. Aber auf die Dauer dachte meine Gefährtin nicht daran, die Regeln der Etikette zu respektieren. Sie hockte sich auf eine der Seitenlehnen des Sofas.
»Und wenn doch, hätte er es gewiß nicht direkt zu verstehen gegeben«, sagte sie, während sie sich eine Zigarette ansteckte und das Päckchen Signora Butali hinhielt, die den Kopf schüttelte, »er hätte Sie mit magischen Tricks aus dem Hause herauszuzaubern versucht. Er hat hypnotisierende Augen. Finden Sie nicht, Armino?«
Das Lächeln, das sie mir schenkte, war genau kalkuliert, die Art, wie sie den Rauch ausstieß, provozierend. Vor dem Hintergrund der Beziehungen, die sie zwischen mir und Aldo vermutete, empfand sie die augenblickliche Situation zweifellos als höchst aufregend.
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