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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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sich unten in der Via Carlo einen Fensterplatz reserviert haben, sollten Sie sich auf die Strümpfe machen«, sagte er. »Nach neun Uhr darf sich niemand mehr auf der Straße blicken lassen, außer den Mitwirkenden.«
    Er hatte gar nicht zugehört. Was ich gesagt hatte, kümmerte ihn nicht. Seine Aufgabe erschöpfte sich darin, die Piazza für die Pferde und den Wagen freizuhalten. Er wandte sich ab. Panisches Entsetzen überfiel mich. Ich wußte nicht, wohin ich gehen, was ich tun sollte. So ähnlich mußte die Furcht sein, die Männer vor der Schlacht ergriff und der sie sich nur durch Disziplin und Haltung erwehren konnten. Ich hatte keine solche Disziplin, ich hatte keine Haltung. Der kindliche Instinkt, einfach wegzulaufen, mich zu verkriechen, mir Augen und Ohren zuzuhalten, war stärker als alles andere. Ich rannte auf die Bäume der Anlagen zu, in dem Gedanken, die Welt würde ausgelöscht sein, wenn ich mich nur erst zwischen Gräsern und Gebüsch zu Boden geworfen hätte. Doch als ich schon auf das verschwenderische Farbengetümmel zu stolperte, das die Pferde und das klimpernde Geschirr, der buntbemalte Wagen und die sorglosen Burschen bildeten, sah ich plötzlich den Ferrari aus der Via delle Mura in die Piazza einbiegen. Der Mann am Steuer mußte mich erkannt haben, denn er bremste plötzlich und hielt. Ich ließ ab von meiner sinnlosen, panischen Flucht und lief auf den Wagen zu. Der Schlag öffnete sich, Aldo sprang heraus und fing meinen Fall ab. Er riß mich auf die Beine, und ich klammerte mich unter unzusammenhängendem Gestammel an ihn.
    »Lass es nicht zu!« hörte ich mich wieder und wieder sagen. »Lass es nicht zu. Um des Himmels willen, nein …« Er schlug mich ins Gesicht, und mit einem Mal war das Vergessen da, das ich gesucht hatte. Der Schmerz brachte Dunkelheit und Erlösung.
    Als ich die Augen öffnete, war mir schwindlig. Mein Kopf dröhnte. Man hatte mich gegen einen Baum gelehnt. Aldo hockte neben mir und goß dampfenden Kaffee aus einer Thermosflasche. Der Duft erreichte meine Nase.
    »Trink das«, sagte er, »und dann iß.«
    Er gab mir die Tasse, und ich trank. Dann brach er ein Brötchen auseinander und stopfte mir die eine Hälfte in den Mund. Ich kaute mechanisch.
    »Du hast den Gehorsam verweigert«, sagte er. »Wenn ein Partisan das tat, wurde er auf der Stelle erschossen, das heißt, falls wir ihn fanden. Wenn nicht, überließen wir ihn seinem Schicksal oben in den Hügeln.«
    Der Kaffee wärmte mich auf, und das trockene Brötchen hatte einen guten, frischen Geschmack.
    »Den Befehl verweigern, heißt andere Menschen in Ungelegenheiten bringen«, fuhr Aldo fort. »Zeit wird vergeudet. Pläne werden über den Haufen geworfen. Los, trink noch etwas Kaffee!«
    Indessen nahmen die Vorbereitungen um uns herum ihren Fortgang. Die Pferde stampften, das Geschirr klingelte.
    »Cesare hat mir deine Botschaft überbracht«, sagte Aldo. »Daraufhin rief ich das Café in Fano an und bat, mir Marco an den Apparat zu holen. Als er mir sagte, daß du nicht an Bord des Bootes gekommen seist, ahnte ich schon, daß etwas dieser Art geschehen könnte. Aber ich dachte nicht, daß du ausgerechnet hierher kommen würdest.«
    Die Panikstimmung war verflogen. Ob das an dem Schlag lag, den Aldo mir versetzt hatte, oder an dem Essen und Trinken, das meinen ausgehungerten Magen jetzt füllte, wußte ich nicht zu sagen.
    »Wohin hätte ich sonst gehen sollen?« fragte ich.
    »Vielleicht zur Polizei«, sagte er mit einem Achselzucken, »in der Hoffnung, dich reinzuwaschen, indem du mich anklagtest. Aber das hätte nicht funktioniert. Man hätte dir nicht geglaubt.«
    Er stand auf und holte sich von einem der Grooms einen Lederlappen, den er in einem Wassereimer naßmachte und mir brachte.
    »Wasch dir das Gesicht damit ab«, befahl er. »Dein Mund ist blutig.«
    Ich säuberte mich. Dann aß ich ein zweites Brötchen und trank noch eine Tasse Kaffee. Das tat sehr gut.
    »Ich weiß, warum du Marta getötet hast«, sagte ich. »Aber als ich zurückkam, hatte ich nicht die Absicht, zur Polizei zu gehen – von mir aus sollen sie mich verhaften! Ich kam, um dir zu sagen, daß ich endlich verstanden habe.«
    Ich stand auf, warf ihm den nassen Lederlappen zu und klopfte die Erde von meinen Kleidern.
    Bis dahin war mir gar nicht zum Bewußtsein gekommen, wie schäbig ich aussehen mußte, struppig und unrasiert wie ich war, mit meinen schwarzen Jeans, dem jadegrünen Hemd und der Zuchthäuslerfrisur.
    Aldo

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