Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
Vom Netzwerk:
sprang heraus und öffnete die hinteren Türen. Dann wurde eine Rampe heruntergelassen, und vier Männer, zwei an der Deichsel und zwei an den Rädern zufassend, ließen behutsam ein kleines, in Rot und Gold gehaltenes Gefährt auf die Straße rollen. Der Wagen war eine Nachbildung der altrömischen Rennwagen und trug an der Vorderseite und über jedem Rad das Emblem der Malebranche, den Falken mit den ausgebreiteten Schwingen.
    So war es also doch wahr! Das wahnwitzige Unterfangen des Herzogs Claudio vor fünfhundert Jahren sollte wiederholt werden. Das rasende Rennen, das der deutsche Historiker in seinem Buch geschildert und auf das ich Aldo gegenüber am letzten Sonntag im Scherz angespielt hatte, sollte noch einmal Wirklichkeit werden. Dabei hatte er selbst am Mittwoch einfach von einem Festzug gesprochen, und ich selbst hatte gedacht, daß ein entsprechender Auftritt allenfalls zum Spaß mit vielleicht zwei Pferden stattfinden würde. Herzog Claudio hatte achtzehn Pferde vom nördlichen zum südlichen Hügel gelenkt, und achtzehn Pferde standen vor mir. Es war doch nicht möglich! Es konnte nicht sein! Ich versuchte mir die Passage aus dem Geschichtsbuch ins Gedächtnis zu rufen: »Nachdem zahllose Bürger von den Hufen der Pferde zu Tode getrampelt worden waren, nahm die gesamte Bevölkerung die Verfolgung des Herzogs auf …«
    Inzwischen kam ein zweiter, kleinerer Lastwagen auf die Piazza gefahren, aus dem Geschirr, Stränge, Kummete mit Buckeln, die den Kopf des Falken zeigten, ausgeladen und unter die Bäume getragen wurden, wo die Pferde standen. Und der Geruch des polierten Leders, bittersüß, wie das Aroma von Gewürzen, mischte sich mit dem der Pferdeleiber und dem Duft der Bäume. Die Pferdeknechte begannen das Geschirr und das übrige Zubehör ruhig und methodisch zu sortieren, wobei sie leise miteinander schwatzten.
    Daß sich das alles so ordentlich und ohne Aufregung vollzog, als handle es sich um eine routinemäßige Morgenarbeit, machte die ganze Szene noch phantastischer. Und während die Sonne höher stieg und das Schreckliche, das bevorstand, immer näher rückte, fühlte ich, wie ein seltsames Grauen ganz und gar von mir Besitz ergriff. Es stieg von den Eingeweiden zum Herzen hinauf und lähmte schließlich jeden Gedanken. Gleichzeitig schärfte sich mein Gehör. Jeder Laut schien verstärkt. Auch der Klang der Kirchenglocken, die, abgesehen vom Stundenschlag, erst um sechs, dann um sieben, dann wieder um acht zur Messe riefen.
    In meinen Ohren klang ihr Geläute chaotisch, wie die Ouvertüre zum Untergang einer ganzen Stadt. Dann fiel mir ein, daß Passionswoche war und daß der Freitag der Mutter Gottes gehörte.
    Als wir klein waren, hatte uns Marta an diesem Tag immer nach San Cipriano geführt, und wir hatten Feldblumensträuße vor der Statuette niedergelegt, deren bunt bemalte Lieblichkeit verhüllt war und die die sieben Schwerter des Schmerzes symbolisierte, die das Herz durchbohren.
    Damals dachte ich bei mir, während ich verwirrt vor dem Bilde kniete, daß die Mutter Gottes eine traurige Rolle in der Geschichte ihres Sohnes spielte, den sie erst anstachelte, Wasser in Wein zu verwandeln, und den sie später, inmitten der Verwandtschaft, vom Rand der Menschenmenge her vergeblich anrief, ohne eine Antwort zu bekommen.
    Vielleicht war dies der Augenblick, in dem der siebente der sieben Schmerzen sie traf und niederwarf, der Augenblick, dessen die gleichgültigen Priester von Ruffano eben jetzt gedachten. Wenn es so war, täten sie besser daran, das Leid dieser einen Frau zu vergessen und hinaus auf die Straße zu gehen und ein Massenmorden zu verhindern.
    Inzwischen schickte die Polizei sich an, einen Cordon rund um die Piazza zu ziehen, um den Verkehr und die ersten Neugierigen fernzuhalten. Die Polizisten lächelten und scherzten. Sie waren gut aufgelegt an diesem Festivaltag und riefen den geschäftigen Pferdeburschen, die dabei waren, die Tiere aufzuschirren, ab und zu unter lautem Gelächter Instruktionen hinüber.
    Der Alptraum gewann Leben und wurde dadurch noch furchterregender. Keiner von ihnen wußte, keiner begriff! Ich trat zu einem der Männer heran und berührte seine Schulter.
    »Kann man die Sache nicht stoppen?« sagte ich. »Kann man sie denn nicht verhindern? Es ist noch nicht zu spät, auch jetzt könnte man sie, meine ich, noch stoppen.«
    Er schaute auf mich herunter, ein strammer, fröhlicher Kerl, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Falls Sie

Weitere Kostenlose Bücher