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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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unwillkürlich auf Zehenspitzen und bestieg behutsam die einzige Stufe vor der mittleren Kapelle. Hohle Geräusche drangen vom Hochaltar herüber, wo der Sakristan seiner Arbeit nachging. Ich schaute nach einem Schalter und drehte das Licht in der Kapelle an. Der Lichtschein fiel auf das Altarbild. Kein Wunder, daß ich mich als Kind gefürchtet hatte vor jener Gestalt in ihrem Leichentuch, mit den Bandagen, die schlangengleich vom Gesicht herunterhingen, mit den entsetzten Augen, die auf ihren Herrn schauten.
    Heute sah ich, daß das Bild kein Meisterwerk war. Es stammte zweifellos aus dem frühen 18. Jahrhundert, aus einer Zeit, in der gequälte Mienen und verzerrte Formen Mode waren. Heute, da sich mein Blick geschärft hatte, erschien mir der auferstandene Lazarus grotesk. Aber die gebeugte Gestalt der flehenden Maria im Vordergrund war immer noch Marta, war immer noch die zusammengekauerte Frau auf den Stufen der Kirche in Rom.
    Ich drehte das Licht wieder aus und verließ die Kapelle.
    Vielleicht entwickelte sich unser Unterbewusstsein nicht mit. Im Traum hatte ich wie das Kind von damals mit seiner lebhaften Einbildungskraft reagiert. Jetzt, da die Entzauberung da war, wirkte das Bild primitiv. Der auferstandene Lazarus hatte seine Macht über mich verloren.
    Als ich ins Kirchenschiff trat, begann der Sakristan zu mir herunterzutrappeln, und plötzlich kam mir ein Gedanke.
    »Verzeihen Sie«, sagte ich, »werden die Taufregister eigentlich in dieser Kirche aufbewahrt?«
    »Ja, Signore«, erwiderte er, »sie liegen in der Sakristei und gehen ziemlich weit zurück, bis zum Beginn des Jahrhunderts. Die Register aus der Zeit davor befinden sich im Presbyterium.«
    »Ob ich vielleicht eine Eintragung aus dem Jahre 1933 nachschlagen dürfte?«
    Er zögerte einen Augenblick und murmelte etwas von einem Priester, der die Register verwalte, und daß dieser im Augenblick nicht erreichbar sei. Ich ließ einen Geldschein in seine Hand gleiten und erklärte, daß ich nur auf der Durchreise sei und kaum wieder nach Ruffano zurückkommen würde, und daß ich das Register im Auftrag eines Verwandten einsehen wolle. Daraufhin führte er mich ohne weiteren Protest zur Sakristei. Ich stand müßig herum, während er nach dem Buch suchte. Der Geruch der Heiligkeit hüllte mich ein. Stolen und Chorhemden hingen von Haken herab. Der schwache Duft von Weihrauch, vermischt mit dem von Bohnerwachs, war überall. Der Sakristan näherte sich mit dem Buch. »Dieser Band enthält die Eintragungen von 1930 bis 1935. Wenn Ihr Verwandter in San Cipriano getauft worden ist, müßte sein Name hier registriert sein.«
    Ich nahm das Buch und schlug es auf. Es war, als blättere man im Buch der Zeit zurück. Wie viele Namen aus meiner Generation mußten hier verzeichnet stehen, Kinder, geboren und getauft in Ruffano, inzwischen längst erwachsen, in alle Welt verstreut oder vielleicht auch noch in der Stadt ansässig, als Kaufleute, als Angestellte. In diesem Buch waren sie alle erst ein paar Tage alt. Ich schlug unter Juli nach, unter meinem Geburtsdatum, dem 13. Vierzehn Tage später war die Taufe eingetragen worden, die an einem Sonntag stattgefunden hatte. »Armino, Sohn des Aldo Donati und der Francesca Rossi. Paten. Aldo Donati, Bruder, Federico Pomante, Edda Pomante.«
    Ich hatte vergessen, daß Aldo, damals noch keine neun Jahre alt, mein Taufzeuge gewesen war. Er hatte seinen Namen mit einer runden Kinderschrift geschrieben, die aber bereits mehr Charakter verriet als das undifferenzierte Gekritzel der Pomantes, Vetter und Kusine zweiten Grades, die die Verantwortung mit ihm teilten. Sie lebten, wenn ich mich recht erinnerte, in Ancona.
    Alles fiel mir plötzlich wieder ein. Die erste Kommunion. Aldos Augen auf meinem Gesicht, mit ewiger Verdammnis drohend, sollte ich die Hostie aus meinem offenen Munde fallen lassen. Die Pomantes waren nicht dabei. Vielleicht waren sie damals schon tot.
    »Haben Sie die Eintragung gefunden?« fragte der Sakristan.
    »Ja«, sagte ich, »ja, sie ist da.«
    Ich klappte das Buch zu und gab es ihm. Er nahm es und stellte es zurück in den Schrank zwischen eine Reihe ähnlicher Bände.
    »Warten Sie«, sagte ich, »haben sie auch die Eintragungen aus den zwanziger Jahren bei der Hand?«
    »Aus den Zwanzigern? Aus welchem Jahr speziell, Signore?«
    »Lassen Sie mich überlegen. Es müßte wohl 1925 gewesen sein.«
    Er zog einen andern Band heraus: »Hier – von '20 bis '25.« Ich nahm das Buch und schlug den

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