Das Geheimnis Des Frühlings
kommen.«
Ich schluckte. »Aber die Sonne scheint nachts nicht!«
»Die Sonne scheint immer, meine Liebe, auch wenn wir sie nicht immer sehen«, erwiderte der König - schon wieder mit diesem bedeutungsschwangeren Unterton.
»Und doch«, warf mein Freund vorsichtig ein, »kann das, was jetzt mit dem Mond geschieht, auch mit der Sonne passieren.«
Ich spürte, wie der König erstarrte.
»Manchmal, zugegebenermaßen sehr selten, verschwindet die Sonne hinter dem Mond, denn alle Himmelskörper kreisen
um die Erde, und ab und an verdeckt der Mond den Blick auf die Sonne.«
»Ihr irrt Euch. Nur der Mond wird auf diese Weise verdeckt«, widersprach Don Ferrante steif.
»Oh nein«, fuhr Bruder Guido, der nicht bemerkte, dass er sich in Gefahr zu bringen drohte, unbeirrt fort. »Solche Phänomene kennt man seit biblischen Zeiten. >Zur selben Zeit, spricht Gott der Herr, will ich die Sonne am Mittag untergehen und das Land am hellen Tage finster werden lassen.< Das steht im Alten Testament, im Buch Amos«, fügte er hinzu.
»Das liegt nur an den Wolken«, gab Don Ferrante zurück. »Die Sonne kann niemals besiegt werden, sonst würden wir alle zugrunde gehen.« Eine Erinnerung begann an mir zu nagen - wo hatte ich etwas Ähnliches schon einmal gehört? »Sie ist der mächtigste aller Himmelskörper«, schloss der König.
»Mächtiger als Gott ?« Bruder Guidos schwarze Brauen schossen in die Höhe.
Don Ferrante machte hastig einen Rückzieher; er war ganz offensichtlich noch nicht bereit, die Allmacht Gottes zu leugnen. »Ich meinte, dass die Sonne die gesamte Natur beherrscht, die Stunden des Tages, die Jahreszeiten. « Er sah seinen Gegner hart an, doch Bruder Guido argumentierte so eifrig, dass ihm dieser Blick entging.
»Aber die Erde wird nicht von ihr beherrscht«, gab er zu bedenken. »Und auch der Mond nicht. Die heutige Nacht ist der beste Beweis dafür.«
Don Ferrante hatte auch darauf eine Antwort zur Hand. »Ah! Aber manche sagen, die Sonne ist der Mittelpunkt von allem, und die anderen Himmelskörper kreisen um sie. Bei einigen, die dies glauben, handelt es sich um bedeutende Männer, die wir gut kennen.«
Wieder verstand Bruder Guido die Andeutung nicht. »Ketzer, Hoheit!«
Ich schloss kurz die Augen. Bruder Guido hatte sich in seine Argumentation verrannt und soeben, wenn meine Ohren mir
keinen Streich gespielt hatten, den König von Neapel mehr oder weniger offen als Ketzer bezeichnet. Die Leute ringsum unterbrachen ihre eigenen geflüsterten Gespräche, um uns zuzuhören.
Ich musste meinem Freund einen leichten Rippenstoß versetzen, damit er in seine Rolle zurückfiel. »Viele sind dieser Meinung«, fügte er hastig hinzu, »aber ich nicht. Ich denke, die Römer hatten recht: Sol Invictus, die unbesiegbare Sonne...«
Ehe er weitersprechen konnte, mischte ich mich ein. »Sagt der Dichter nicht...« Ich zermarterte mir den Kopf, um mich an die genauen Worte zu erinnern, und führte den Satz zu Ende: »Die Sonne bringt all eure Gedanken und Überlegungen an den Tag.«
Bruder Guido sah mich überrascht an, aber Ihr solltet Euch nicht wundern, denn gerade ein Straßenmädchen muss imstande sein, sich Sätze und kleine Scherze zu merken, um sie zu gegebener Zeit einem Kunden gegenüber zum Besten zu geben. Das gehört zu den Eckpfeilern der Schmeichelei und gefällt jedem Mann, Monarch oder Mönch.
Und es verfehlte seine Wirkung auf beide nicht. Don Ferrante taute sichtlich auf und nickte zustimmend. »Seht nur. Das Himmelsschauspiel beschleunigt sich.«
Erleichtert darüber, dass der Sturm noch einmal an uns vorbeigezogen zu sein schien, blickten wir zum Himmel empor. Der Mond verschwand jetzt immer rascher, wurde zum Halbmond, dann zur Sichel.
Don Ferrante beugte sich zu Bruder Guido und dämpfte die Stimme, bis ich kaum noch verstehen konnte, was er sagte. »Wenn die Mondfinsternis vorbei ist, muss ich Euch leider verlassen, um mich mit meinen Offizieren zu treffen. Unsere königlichen Kutschen und Sänften stehen zu Eurer Verfügung, damit Ihr für einige Stunden in die Burg zurückkehren könnt. Oder wollt Ihr bis zu unserem Treffen in der Stadt bleiben?«
Das war neu. »Unserem Treffen?«
»Um Mitternacht. Am vereinbarten Ort.«
Jetzt wussten wir nicht mehr weiter, und Bruder Guido sah sich gezwungen, ein Risiko einzugehen. »Am vereinbarten Ort?« Ich erstarrte, weil ich fürchtete, er könne sich dadurch verraten haben. Wäre er wirklich einer der Sieben, hätte er den Treffpunkt
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