Das Geheimnis Des Frühlings
schimmernden Gebäude. Bruder Guido und ich waren gleichzeitig wie erstarrt stehen geblieben und sperrten die Münder auf wie Zwillingsjungvögel. Don Ferrante beobachtete uns und das Bauwerk. Um seine Lippen spielte ein so befriedigtes Lächeln, als habe er es selbst errichtet. Neben dem König stand sein allgegenwärtiger Haushofmeister Santiago. Das gigantische Gebäude - weder ein Haus noch eine Kirche - kam mir vor wie ein Relikt aus den Städten der Antike. Sogar ich wusste, dass es aufgrund der vielen Säulen römisch sein musste.
Über den Säulen war eine Inschrift in den zeitlosen Stein gemeißelt, die Bruder Guido natürlich sofort laut vorlas. »M∙AGRIPPAL∙F∙COS∙TERTIUM∙FECIT.« Er wandte sich an Don Ferrante. »Marcus Agrippa hat mich errichtet.«
Don Ferrante, der sich ganz offensichtlich als Stadtführer betätigen wollte, nickte und nannte den Namen des Bauwerks. »Das Pantheon.«
Bruder Guidos Augen glänzten. »Es ist unglaublich. Schon als Kind habe ich mir gewünscht, dieses Wunder der Baukunst einmal besichtigen zu dürfen.«
Don Ferrante lächelte, sichtlich zufrieden, seinem Gast eine Freude gemacht zu haben und mit seinem Wissen über einen Ort prahlen zu können, den dieser nie besucht hatte. »Tretet ein«, forderte er uns auf. »Ihr werdet das bevorstehende Spektakel hautnah miterleben können. Der Rest unserer Gruppe ist bereits hier, und ich habe dafür gesorgt, dass wir das Pantheon für uns allein haben.«
Wir gingen auf den riesigen dunklen Schlund des Tempels zu. Am Säulenvorbau hatten zwei von Don Ferrantes Männern Posten bezogen. Sie hielten Spieße in den Händen, und ich fragte mich mit leiser Besorgnis, was das für ein Schauspiel sein mochte, dessen Zeuge wir werden sollten. Am Eingang drehte ich mich um und ließ den Blick noch einmal über den Platz schweifen, der selbst für eine große Stadt ungewöhnlich belebt war. Zuerst hatte ich gedacht, die Menschen hätten sich hier versammelt, um unsere prächtigen Kutschen von der Engelsburg heranrollen zu sehen, aber die Menge zerstreute sich auch nach unserer Ankunft nicht. Einige der Hausfrauen bekreuzigten sich, ihre Männer unterhielten sich lautstark miteinander. Da wir bereits zu Abend gegessen hatten, musste die Komplet schon lange verstrichen sein - was taten sie alle hier? Eine fast greifbare Erregung lag in der Luft, doch darunter spürte ich noch etwas anderes.
Unterschwellige Furcht.
Als wir den Platz überquerten und Don Ferrantes Leibwächter die Bürger von Rom mit den Ellbogen rücksichtslos zur Seite drängten, zupfte ich Bruder Guido am Ärmel.
»Was ist das für ein Bauwerk?« Ich hegte keinen Zweifel daran, dass der Mönch alles darüber wusste, obwohl er noch nie einen Fuß hineingesetzt hatte.
»Pantheon bedeutet Tempel aller Götter , abgeleitet von den griechischen Wörtern pan - alles, und theos - Gott. Es war
ursprünglich ein Teil des Planes von Kaiser Hadrian, Rom nach seinen Vorstellungen umzubauen.«
»Hattet Ihr nicht gesagt, es wäre von einem Marcus irgendwas erbaut worden?«
»Marcus Agrippa war ein Freund und General von Kaiser Augustus. Wahrscheinlich hat er das erste Pantheon entworfen, da man seinen Namen noch immer auf dem Architrav über dem Portikus findet.«
Ich reimte mir zusammen, dass er damit den Horizontalbalken über dem Eingang meinte. »Es ist also ein Tempel«, fasste ich zusammen.
»Nicht mehr. Nachdem Rom zum Christentum bekehrt wurde, wurde aus dem Pantheon die Kirche Santa Maria Rotunda, die vor vielen Jahrhunderten auf Befehl des byzantinischen Kaisers Phokas geweiht wurde.«
»Also gut, dann ist es jetzt eben eine Kirche.« Ich war seine endlosen langweiligen Ausführungen leid. »Aber warum sind wir hier?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
So etwas war typisch für Bruder Guido, wie ich inzwischen wusste; er erzählte einem hundert Dinge, die man gar nicht wissen wollte, aber auf das, was man wissen wollte, hatte er keine Antwort. Ich fand das Pantheon unheimlich und spürte, wie ich eine Gänsehaut bekam, als ich den beiden Männern ins Innere folgte, wo ich die restlichen Angehörigen des Hofes vorfand, die dort umherschwirrten wie Fliegen in einer Flasche. Auch die Königin und die drei königlichen Mätressen waren da und nickten mir freundlich zu. Johanna von Aragón gab sich so ruhig und gelassen wie immer, doch die Konkubinen flatterten aufgeregt umher und schnatterten dabei wie die Eichelhäher. An den Wänden waren Fackeln
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