Das Geheimnis Des Frühlings
Wachposten vorbeizuschleichen, schon aus einer halben Leuge Entfernung gesehen werden.
Endlich kam Bruder Guido zurück - allein - und trat zu mir. Mir fiel eine Zentnerlast vom Herzen. Er wirkte verwirrt, aber nicht besorgt oder gar verängstigt.
»Was ist passiert?«
»Nicht hier«, zischte er. »Draußen wartet eine Sänfte auf uns, um uns zum Castel zurückzubringen. Dort können wir reden.«
Im Castel angelangt, zogen wir uns nicht gleich in unsere Kammern zurück, sondern suchten in stillschweigender Übereinkunft nach einem Platz, wo wir unbeobachtet und ohne Lauscher fürchten zu müssen, miteinander reden konnten. Ich
folgte Bruder Guido, bis wir in eine Halle voller Statuen kamen; einen langen Gang, der zu beiden Seiten von den Büsten längst verstorbener Kaiser gesäumt wurde. Sie musterten uns aus blinden Augen und hörten uns mit steinernen Ohren zu, aber da der Gang nur durch die Türen an beiden Enden betreten werden konnte, würden wir jeden menschlichen Eindringling schon aus einiger Entfernung bemerken. Bruder Guido schien von den Sieben schon einiges gelernt zu haben - zum Beispiel die Kunst, Geheimes auch geheim zu halten.
»Und?« Ich konnte meine Ungeduld kaum noch zügeln.
Er verlor keine Zeit. »Wir waren nur zu dritt. Die anderen beiden trugen wie ich Umhänge mit Kapuzen, die sie sich tief in die Stirn gezogen hatten, damit man ihre Gesichter nicht sehen konnte. Namen fielen keine, aber ich erkannte einen der anderen Männer an seiner Stimme als Don Ferrante. Dem dritten bin ich noch nie begegnet, darauf würde ich schwören.«
»Könnte es nicht doch Lorenzo di Pierfrancesco de’ Medici gewesen sein?«
Die Antwort kam ohne Zögern. »Nein. Seine Stimme war die eines alten Mannes, Lorenzo ist aber ungefähr so alt wie ich. Dieser Mann machte auf mich den Eindruck eines Staatsmannes. Er war weder Neapolitaner noch Toskaner, und außerdem waren wir uns ja einig, dass sich Lorenzo in Florenz aufhalten muss.«
»Nicht zwingenderweise. Wir sind ja auch hier, und wir werden trotzdem pünktlich zur Hochzeit in Florenz eintreffen.«
Er zuckte die Achseln. »Da war noch etwas...«
»Ja?«
»Er schien rangmäßig über allen anderen zu stehen. Er hat sofort die Gesprächsführung übernommen, und mir kam es so vor, als wäre er der Mächtigste dieser Verschwörergruppe.«
»Mächtiger als ein König?«
»Ja, ich weiß...«
»Und worüber wurde gesprochen?«
»Es lag auf der Hand, dass ein Krieg in Planung ist. Es wurde
über eine Flotte gesprochen, über die Anzahl der Schiffe und den Zeitpunkt des Angriffs. Und über eine Karte. Die Karte, die Karte, die Karte... dieses Wort fiel ständig.«
»Aber niemand hat erwähnt, wo und wann genau dieser Angriff stattfinden soll?«
»Nicht direkt, nein. Aber das Wort Frühling - Primavera - fiel dreimal, das muss die Zeit sein, zu der sie zuschlagen wollen. Und wenn Lorenzo di Pierfrancesco hinter all dem steckt, ergäbe das einen Sinn, denn der Frühling ist das florentinische Neujahr.« Er rieb sich den Nacken, wie er es immer tat, wenn er Ordnung in seine Gedanken bringen wollte. »Und Blumen. Von Blumen wurde andauernd gesprochen. Die genaue Formulierung lautete: >Die Blumen hüten das Geheimnis.‹«
Madonna. »Also wissen wir immer noch nicht, um was für ein Geheimnis es sich eigentlich handelt, nur, dass es von Blumen gehütet wird. Das gesamte Bild wimmelt von Blumen, das war das Erste, was mir an dem Original aufgefallen ist.« Ich seufzte gereizt. »Das ist wirklich alles? Eine Karte, die wir nicht haben, ein Zeitpunkt, den wir nicht kennen, und Blumen, deren Bedeutung uns ein Rätsel ist?«
»Ihr habt es auf den Punkt gebracht.«
Heiliger Christus. »Dann seid Ihr völlig umsonst zu dem Treffen gegangen.«
»Nicht unbedingt. Ich weiß jetzt, dass sie mich als einen der Ihren akzeptieren. Und ich schlage vor, wir ziehen uns nun zurück und denken in Ruhe über alles nach, denn wir haben morgen früh ja noch die Audienz beim Papst, bevor wir nach Florenz aufbrechen. Dort dürften wir sicherlich weitere Einzelheiten herausfinden, denn dort lebt ein Mann, der uns vielleicht helfen kann - ein Bruder meines Ordens. In botanischen Fragen können wir nichts Besseres tun, als uns an Nikodemus von Padua zu wenden, den Kräuterkundigen von Santa Croce. Es gibt keine Blume auf dem Feld und kein Kraut in einer Hecke, dessen Namen er nicht kennt. Und«, fügte er ernst
hinzu, »dann sind da ja noch die Hochzeitsfeierlichkeiten, an denen
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