Das Geheimnis Des Frühlings
sahen.
Ärgerlicherweise konnte ich von meinem Platz aus zwar die Rosen in Floras gerafftem Rock sehen, aber nicht die zwischen ihr und Venus, auf die es ankam. Ich wagte nicht, aufzustehen und so Aufmerksamkeit auf mich als Modell der Flora zu lenken. Es reichte schon, dass Don Ferrante und seine Königin sich lächelnd zu mir umdrehten und der Ähnlichkeit mit einem anerkennenden Nicken Bewunderung zollten.
Ich gab das Lächeln gezwungen zurück, verrenkte mir den Hals und rutschte mit dem Hinterteil auf der Bank herum, als
würde ich von Filzläusen geplagt, aber es nutzte mir nichts; die Blume, auf die ich es abgesehen hatte, verschwand in einem Meer auf und ab tanzender Köpfe.
Mein Begleiter wandte sich zu mir, um mich zu rügen. »Hört auf damit!«, zischte er. »Eine Dame, die weiß, was sich gehört, sitzt still wie eine Statue da. Verspürt Ihr etwa einen so starken Juckreiz?«
Ich erdolchte ihn mit den Blicken. »Nein, ich versuche, Floras Rose zu erkennen. Könnt Ihr sie von Eurem Platz aus sehen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Wir werden das Bild genauer in Augenschein nehmen, wenn wir die Kirche verlassen. Und bis dahin haltet den Kopf sitttsam gesenkt!«
»Habt Ihr Il Magnifico gesehen?«
Diesmal nickte er. »Ja. Er sitzt für unsere Zwecke günstig, denn alle Gäste werden am Ende der Zeremonie an ihm vorbeidefilieren. Seht Ihr? Seine Kammerdiener halten schon Körbe mit Lorbeerzweigen bereit, die zum Zeichen des Friedens an die Gäste verteilt werden.«
Ich musterte die beiden livrierten Lakaien mit den Blätterkörben, sah wieder Lorenzos Haustier vor mir, die Giraffe, die sich draußen vor der Kirche an den Lorbeerzweigen gütlich tat, und schnaubte abfällig. Ein Zeichen des Friedens, dass ich nicht lachte. Die Medici standen im Begriff, sich gegenseitig zu vernichten, da die Familie gegen ihr eigenes Oberhaupt intrigierte.
»Seht nur, Luciana«, fuhr Bruder Guido, jetzt selbst Anstand und Schicklichkeit vergessend, fort. Froh darüber, dass in seiner Stimme zum ersten Mal seit seiner Audienz beim Papst wieder ein Anflug von Ehrfurcht mitschwang, blickte ich in die Richtung, in die er zeigte. Doch ich sah nur einen stillen, auffallend hässlichen Mann in einem stumpfgrauen Gewand, der etwas auf eine Tafel kritzelte. Der einzige Farbfleck an ihm war der Rosenkranz auf seinem Kopf, der ihn etwas lächerlich wirken ließ. Scheinbar langweilten sich auch seine Begleiter in
seiner Gesellschaft, denn die beiden jungen Pfauen an seiner Seite hatten sich abgewandt und unterhielten sich angeregt mit Freunden in der Bank hinter ihnen. Doch Bruder Guidos verklärte Miene erinnerte mich an den Moment, an dem er den Papst zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hatte.
»Wer ist das?«, flüsterte ich.
»Andrea Poliziano, der Hofdichter der Medici. Er hat die stanze geschrieben, auf denen die Primavera basiert, sowie die Verse über die Rose, die wir letzte Nacht gehört haben.«
Mein Respekt vor dem Mann wuchs, und ich war froh, dass Bruder Guido sich nicht von all seinen Idolen abgekehrt hatte. Er freute sich sichtlich, den Dichter zu sehen, dessen Verse er im Skriptorium von Santa Croce so oft und peinlich sorgsam kopiert hatte.
Meine eigene Freude erstarb jedoch im selben Moment, da sich einer der Begleiter Polizianos umdrehte. Ich hatte ihn heute schon einmal gesehen, aber im Gewand des Merkur in dem Bild auf der Staffelei, harmlos, stumm und unbeweglich. Nun hatte ich ihn in Fleisch und Blut vor mir.
Sandro Botticelli.
Und durch irgendeinen unseligen Zufall begegnete er meinem entsetzten Blick und erkannte mich sofort.
Dann geschahen drei Dinge zur gleichen Zeit.
Cosa uno: Er erhob sich, aber das taten alle anderen Anwesenden auch.
Cosa due: Er rief etwas, aber seine Worte gingen in einer Krummhornfanfare unter.
Cosa tre: Die Braut und der Bräutigam betraten die Kirche.
Sie schritten durch die weit geöffneten Türen; zuerst nur schwarze Schattengestalten im hellen Tageslicht, dann verwandelten sie sich in lebende, atmende Fabelwesen. Der toskanischen Tradition gemäß gingen sie langsam Arm in Arm durch das Kirchenschiff.
Die Braut war, wie Bruder Guido in Rom gefolgert hatte, die zum Leben erwachte Venus. Sogar ihre Kleidung glich der der
Figur aus dem Bild bis ins letzte Detail - das austernfarbene Seidengewand mit den aufgestickten Flammen am Ausschnitt, die an ihrem lilienweißen Hals hochzuzüngeln schienen; der ockerfarben und blau gemusterte Umhang mit dem perlenbesetzten
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