Das Geheimnis Des Frühlings
heilige Gebäude glich heute einem Palast, die Sonne ließ den dreifarbigen Marmor grün, rot und golden schimmern. Vor meinen Augen flimmerte alles, in meinen Ohren dröhnte das Läuten der Glocken. Aus dem Augenwinkel heraus erhaschte ich einen Blick auf drei schäbige Dirnen, die gähnend und sich am ganzen Leib kratzend auf den Stufen des Baptisteriums herumlungerten und die Beine spreizten, um die vorbeieilenden Männer anzulocken. Ich hob das Kinn ein wenig, da ich spürte, welche Kluft zwischen ihnen und mir klaffte. Heute kam ich mir wirklich vor wie die junge Edelfrau, die ich verkörperte.
Doch als wir in den Mercato Lorenzini einbogen und ich die braune Vorderfront der Medici-Kirche vor mir sah, verließ mich mein Mut; meine Eingeweide schienen sich zu verflüssigen und drohten mir aus dem Bauch zu strömen wie die Eingeweide des unseligen, an seinem Strick baumelnden Francesco Pazzi.
Mein Mund wurde strohtrocken, als wir den Platz betraten, wo uns noch mehr Lärm, Farben und Chaos entgegenschlugen. Mir war, als würden mir jeden Moment die Sinne schwinden. Jubelnde Bürger ließen Blütenblätter aus den hohen Fenstern regnen. Sogar die schlichte Kirche San Lorenzo war anlässlich dieses Festtages mit Girlanden und Blumengestecken geschmückt. Ein Strom von Hochzeitsgästen, Edelleute und hohe Würdenträger, ergoss sich durch das Portal. Alle waren in ihre besten Gewänder gekleidet, glichen einem Schwarm leuchtend bunter Papageien und kreischten auch so. Ich kam mir vor, als hätte ich die wirkliche Welt verlassen und ein Märchenland betreten, als ich die Giraffe der Medici - dasselbe Tier, das ich einst auf dem Hügel von Fiesole durch die blaue Abenddämmerung hatte schreiten sehen - über den Platz trotten
sah. Um ihren Hals lag eine Blütengirlande, und ihre lange schwarze Zunge schoss vor, um die Lorbeerblätter abzuzupfen, die aus jedem Fenster hingen.
Nach der dunklen, stillen Nacht innerhalb der alten Mauern von Santa Croce überwältigten mich all diese Eindrücke, und ich wäre gestolpert, wenn mich Bruder Guido nicht am Arm festgehalten hätte. Er sah mich an, ohne zu lächeln, nickte aber leicht, was mir neue Kraft verlieh, und dann wurden wir vom Dunkel der Kirche verschluckt.
In dem kühlen Inneren fühlte ich mich sofort besser; die Farben waren nicht mehr so grell, die schrillen Stimmen der Adligen klangen gedämpfter. Uns wurde eine mit Girlanden geschmückte Bank direkt hinter der des Königshauses von Neapel zugewiesen, und ich verbarg mich dankbar hinter dem König und der Königin, die heute nicht in ihr übliches Schwarz, sondern in Blau und Kanariengelb gekleidet waren. Ich hoffte, dass die Blicke der anderen Gäste an ihnen hängen bleiben und nicht bis zu mir wandern würden. Meine Kopfhaut begann unter dem Turban zu jucken.
Da ich mich im Moment sicher fühlte, sah ich mich neugierig um, während die Trommeln und Tamburine die eintreffenden Gäste mit einer Hochzeitshymne begrüßten. Ich betrachtete jedes Gesicht genau; hielt nach den restlichen Mitgliedern der Sieben Ausschau. Dort war Don Ferrante, dort der Judaspapst in einem zinnoberroten Umhang. Aber wo steckten die anderen, das restliche Quartett unbekannter Verschwörer? Waren sie hier, um neue Anweisungen entgegenzunehmen? Doch dann wurde meine Aufmerksamkeit von drei Dingen gefesselt.
Cosa uno: Auf der anderen Seite des Ganges, uns direkt gegenüber, saß ein seltsames Geschöpf, so exotisch, dass es sogar in dieser erlesenen Gesellschaft auffiel. Die Frau trug ein grüngoldenes Gewand wie ich selbst, aber ihr Gesicht wurde vollständig von einer goldenen Maske verdeckt. Diese Maske war exquisit gearbeitet; sie zeigte das Antlitz einer Löwin, war mit Staubperlen besetzt und mit kunstvollen Schnörkeln verziert.
Ein filigraner Schleier aus hauchfeinem Kettengeflecht fiel vom Kinn bis zum Hals. Die rätselhafte Erscheinung faszinierte mich. Sie saß stumm und regungslos neben einem älteren, in weiße und scharlachrote Gewänder gekleideten Mann, der einen wie ein Penis geformten weißen Samthut trug. Trotz seiner bizarren Aufmachung wanderte mein Blick wie magisch angezogen zu der Frau zurück. Ich starrte die Löwenmaske wie gebannt an; vergaß fast, dass sich dahinter ein Mensch aus Fleisch und Blut verbarg, bis ich bemerkte, dass sie mich mit Augen musterte, die so grün schimmerten wie meine eigenen. Errötend wandte ich mich ab, wobei mir plötzlich klar wurde, wen ich da vor mir hatte - die
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