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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Saum, die goldenen Filigranmuster an den zierlichen Füßen, der zartem Morgennebel gleichende Schleier auf dem roten Haar und das auf ihrer Brust schimmernde goldene Sol-Invietus-Medaillon. Ich musterte ihr Gesicht- fein geschnitten und magnolienweiß mit einem kaum wahrnehmbaren rosigen Hauch auf den Wangen. Die Augen blickten ruhig und leicht glasig. Ich fühlte mich zu diesem stillen Mädchen sofort hingezogen und empfand zugleich Mitleid mit ihm, war es doch nur eine unschuldige Schachfigur in diesem Spiel. Mein erfahrener Blick streifte ihren Bauch, aber ich konnte nicht erkennen, ob sie die Freuden des ehelichen Bettes schon gekostet hatte, und musste Bruder Guido nachträglich recht geben: Der romanische Stil ihres Gewandes würde im frühen Stadium jede Frucht der Sünde verbergen. Aber nachdem ich die junge Frau gesehen hatte, neigte ich eher zu der Ansicht, dass sie noch unschuldig war; ihr Gesichtsausdruck und ihr Verhalten waren das einer Jungfrau. Normalerweise bin ich für die Reize meines eigenen Geschlechts unempfänglich, aber ich musste zugeben, dass ihre Schönheit und keusche Ausstrahlung sehr anziehend wirkten, auch wenn sie sich von meiner eigenen eher weltlichen Schönheit unterschied wie der Mond von der Sonne. Sie war die würdige Verkörperung von Venus, der Göttin der Liebe, und ihre Ähnlichkeit mit ihrer gemalten Zwillingsschwester trat noch deutlicher zutage, als sie sich am Ende des Ganges umdrehte und grüßend die Hand hob - genau so wie die Venus in der Primavera.
    Der Bräutigam schien mir dagegen ein Bruder Leichtfuß zu sein. Er hatte Augen für jeden, nur nicht für die Frau an seiner Seite, als er den Gang entlangschritt, und lachte, scherzte und begrüßte ohne jede Rücksicht auf die Gebote des Anstands alle seine Freunde. Seine Zähne schimmerten strahlend weiß,
seine Augen kaperngrün. Äußerlich ähnelte er seinem mächtigen Vetter und Mentor, aber ihm fehlte dessen Aura von Autorität und Einfluss. Ich hielt ihn für einen unwürdigen Erben dieser meiner Stadt. Meine Nasenflügel blähten sich, als ein schwacher Moschusgeruch zu mir herüberwehte - er hatte sich seine Keuschheit nicht für die Hochzeitsnacht bewahrt. Gott weiß, dass es mit meiner Moral nicht weit her ist, aber eines stand für mich fest: Er war ein verräterischer Verschwörer, dem Einhalt geboten werden musste.
    Das Paar wandte sich von uns ab, ein Priester in einem prächtigen Messgewand kam die Kanzelstufen herunter und begann die Messe zu intonieren. Da ich, wie gesagt, trotz meiner Klostererziehung kaum Latein verstehe, wäre ich beinahe in meiner Bank eingeschlafen, wenn mich nicht das unbehagliche Gefühl geplagt hätte, dass sich Botticellis Blick in meinen ohne meine Haarflut seltsam nackten Nacken brannte. Ich wusste jetzt, dass uns nach dem Gottesdienst wenig Zeit blieb, um zu Il Magnifico zu gelangen, bevor Botticelli mich öffentlich entlarvte. Was wir dann allerdings sagen sollten, darüber wagte ich gar nicht nachzudenken. Während der restlichen Messe wurde ich zwischen der Furcht vor den abschließenden Worten und dem Wunsch, der Priester möge endlich zum Ende kommen, hin und her gerissen. Ich betete nicht, das tat ich ja bekanntermaßen nie, aber mir entging nicht, dass Bruder Guido die vollen Lippen fest zusammenpresste - ihm entschlüpfte kein einziges Gebet, kein Psalm und kein Vaterunser.
    Endlich begann der Priester mit der eigentlichen Zeremonie; er band die Hände des Paares nach florentinischer Tradition mit einem grünen Band zusammen. Ich versuchte, einen Blick auf den linken Daumen des Bräutigams zu erhaschen und wusste, dass Bruder Guido dasselbe tat. Lange konnten wir nichts erkennen, weil uns das Band den Blick versperrte, aber dann sahen wir es klar und deutlich.
    Kein Ring.

    Es bestand kein Zweifel. Der Daumen des Bräutigams lag über dem seiner Braut - nackt wie ein neugeborenes Kind.
    Bruder Guido und ich wechselten einen Blick. Mein Herz machte einen Satz. Was hatte das zu bedeuten?
    »Wenn er der Kopf dieser Bande ist, braucht er vielleicht keinen Ring zu tragen?«, schlug ich hoffnungsvoll vor.
    »Aber dieser Ring ist auch das Symbol der Medici. Vielleicht hat er ihn für die Zeremonie abgelegt?«
    Aber weder seine noch meine Theorie klangen glaubwürdig. verdammt. Hatten wir uns geirrt?
    Uns blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, denn die Messe neigte sich dem Ende zu. Braut und Bräutigam, nun verheiratet, schritten den Gang wieder hinunter. Aus der Nähe

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