Das Geheimnis Des Frühlings
zuckte mit keiner Wimper. »Nein, ich habe es getan, weil du eben das nicht warst. Du warst und bist die leibliche, legitime Tochter von Giovanni Mocenigo, dem amtierenden Dogen von Venedig.«
Ich brauchte einen Moment, um diese Enthüllung zu verarbeiten.
Madonna.
Ich war die Tochter der Dogaressa.
Sie wertete mein Schweigen als Frage und sah sich genötigt, eine Erklärung abzugeben. »Als du geboren wurdest, sollte im Stadtrat gerade ein umstrittenes Gesetz verabschiedet werden. Die regierende Partei benötigte die Unterstützung meines Mannes, die er jedoch verweigerte. Ich befürchtete, sie könnten dich als Druckmittel benutzen. Dein Leben war in Gefahr, also schickte ich dich fort und verbreitete überall, du seist gestorben, und wir hätten dich in aller Stille begraben.«
»Warum hast du mich nicht zurückgeholt?«, flüsterte ich nahezu unhörbar.
»Weil diese Stadt damals ein brodelnder Giftkessel war. Abgesehen davon, dass wir um dein Leben fürchteten, sollten wir auch noch Bündnisse schließen, die wir nicht eingehen wollten, und sie dadurch besiegeln, dass wir dich mit einem unserer unerwünschten Bündnispartner verheirateten. Aber wir hatten dich bereits dem Padrone von Pisa als Braut für seinen Sohn versprochen, weil wir ihn als Seehandelspartner gewinnen wollten. Bei den Nonnen warst du sicher, sie unterwiesen dich in der Heiligen Schrift und hüteten deine Keuschheit. Wir hielten es für das Beste, dich vorerst dort zu lassen.«
Vorerstl Ich hatte zwölf Jahre im Ospedale verbracht. Meine Mutter hatte mich bedenkenlos aus ihrem Leben entfernt und alle wichtigen Ereignisse meiner Jugend verpasst. Sie war nicht dabei gewesen, als ich zu laufen und zu sprechen begonnen hatte, sie war bei meiner ersten heiligen Kommunnion nicht zugegen gewesen. Das Beste für mich? Beinahe wäre mir ein höhnisches Schnauben entschlüpft. Das Beste für sie, so musste der Satz korrekt lauten. Mein Herz begann sich zu verhärten und somit sich dem ihren anzupassen.
»Als du zwölf warst, bist du dann plötzlich verschwunden.«
Und wusste sie auch, warum? Weil ich auf dem Rückweg von der Messe Enna begegnet war. Und weil ich hinter den Schwestern zurückgeblieben war, bis ihre weißen Schleier hinter einer Straßenecke verschwanden, während ich Ennas
schönes Kleid bewundert hatte. Weil ich sie für eine Erscheinung, vielleicht für meine vero Madre gehalten hatte, die endlich gekommen war, um mich zu holen, denn Enna war damals mit zweiunddreißig schon alt genug, um meine Mutter sein zu können. Weil sie mir gesagt hatte, ich könnte innerhalb weniger Momente fünf Florin verdienen, zwei für sie und drei für mich, wenn ich es fertigbrachte, den Schwengel eines Mannes zu lutschen wie eine Zuckerstange. Dann könnte ich mir bald selber hübsche Kleider kaufen. Weil ich sie zu einem Palazzo in Travastere begleitet, einen der unbedeutenderen Medici bedient und meine versprochenen drei Florin kassiert hatte. Weil ich mit zwölf begonnen hatte, auf der Straße zu arbeiten, ohne auch nur ein einziges Mal zurückzublicken. Wie konnte diese Frau ahnen, dass ich vier Jahre lang das Dasein einer Hure geführt hatte, bis ich ein Bild stahl, einem Mönch begegnete und mein Leben sich von Grund auf änderte?
»Wir haben dein Verschwinden vor den Pisanern geheim gehalten und überall Geschichten über deine Schönheit und deine Klostererziehung herumerzählt. Ich schwärmte jedem vor, du wärst mein Ebenbild, was sich ja auch nicht leugnen lässt. Ich betete, dass wir dich wiederfinden würden, und meine Gebete wurden erhört. Bentivoglio Malatesta, der Perlenhändler, erzählte unseren Spionen von einem Mädchen, mit dem er sich... traf.«
Bembo hatte mich verraten? Hmm.
»Er sagte, sie hätte das richtige Alter und sähe genauso aus wie ich.« Sie neigte anmutig den maskierten Kopf. »Also unternahmen wir Schritte, um festzustellen, ob seine Angaben zutrafen.«
»Ihr habt mich von Botticelli malen lassen, damit Ihr sehen konntet, dass ich wirklich die war, die Ihr suchtet?« Es klang unfassbar.
»Nein, da wussten wir schon, wer du bist, deswegen wurdest du ja überhaupt erst gebeten, Botticelli Modell zu sitzen. Es war kein Zufall. Aber ehe wir Kontakt mit dir aufnehmen konnten,
warst du erneut verschwunden. Du hast uns die Suche nach dir nicht gerade leicht gemacht; wir haben dich erst auf der Hochzeit wieder aufgespürt. Wir wollten dir schonend beibringen, wer du bist, was dein Verlobter ja leider vereitelt
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