Das Geheimnis Des Frühlings
Geschenk für eine Braut, das der Bräutigam von seinem Lieblingskünstler hat malen lassen. Es dient keinem anderen Zweck als dem, die größten Schönheiten zu zeigen, die unser Land hervorgebracht hat und unter denen die Braut selbst die Königin ist. Du solltest stolz darauf sein, zu ihnen zu zählen, so wie ich es auch bin.«
»Ihr, Dogaressa?«
Wieder neigte sich das edle Haupt. »Ich bin als Nymphe Chloris dargestellt.«
Natürlich . Ich dachte an die Nacht im Herbarium von Santa Croce zurück, von der mich jetzt Welten zu trennen schienen. Dort waren wir zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei Flora und Chloris um zwei nahe beieinander gelegene Städte handeln musste. Und nun stellte sich heraus, dass Flora und Chloris tatsächlich miteinander verbunden waren - durch gemeinsames Blut in den Adern. Warum war mir nicht aufgefallen, wie sehr sich unsere Züge und Gestalten ähnelten? In dem Bild »hütete ich das Geheimnis«. Wir hatten mit unserer Vermutung, dieses Geheimnis müsse mit einem Säugling oder
Kind zu tun haben, richtiggelegen, nur wusste ich jetzt, dass ich dieses Kind war. Die Fischschuppenärmel meines Gewandes deuteten auf eine Verbindung zum Meer hin. Ich war ein Kind des Meeres, ein Kind der größten Seerepublik unserer Zeit - Venedig.
Aber was alles andere betraf, die Städte, die Sieben, das Bündnis: Konnten mein Freund und ich die ganze Zeit falschgelegen haben? Sollte das Gemälde wirklich nur eine Reihe schöner Frauen zeigen, mich, meine Mutter, Fiammetta, Simonetta - und Botticelli als Merkur war nur ein Scherz, den sich der Künstler erlaubte? Ich betrachtete die Hände meiner Mutter. Sie trug einen großen Beryllring mit einem eingeschnitzten Wappen, vermutlich dem der Familie Mocenigo, aber an ihrem Daumen prangte kein mit den goldenen palle der Medici besetzter Goldreif. Zweifel prickelten auf meiner Haut wie salzige Gischt. »Aber...«, begann ich und wurde sofort mit einem eisigen Blick zum Schweigen gebracht.
»Stell jetzt keine weiteren Fragen. Das ist ein Rat, eine Warnung und mein Befehl als deine Mutter.«
Meine Zweifel verflogen augenblicklich. Hinter dieser Sache steckte also doch mehr, als sie zugab, sonst hätte sie mir nicht so offen gedroht. Die Dogaressa beugte sich mit einer fließenden Bewegung vor, die die Barke nicht einmal erzittern ließ; als wäre sie eins mit Boot und Wasser. »Lass mich eines klarstellen. Dein Vater und ich erwarten von dir vollständige Kooperation, wenn wir dir in der Angelegenheit deines unseligen... Freundes helfen sollen. Du hast dem Ruf unserer Familie am florentinischen Hof bereits großen Schaden zugefügt. Deswegen hielten wir es auch für ratsam, vor Beginn der eigentlichen Feierlichkeiten abzureisen. Der Doge ist natürlich geblieben, um unseren aufgebrachten Freund zu beschwichtigen und die Wogen diplomatisch zu glätten. Er wird bald nach Venedig zurückkehren.««
Angesichts der Aussicht, meinen Vater zu treffen, diesen mürrischen, farblosen Mann, der so bizarre Festkleider getragen
hatte, bildete sich ein Kloß in meiner Kehle. Seltsamerweise hatte ich in all den Jahren, während derer ich mich nach meiner Mutter gesehnt hatte, nie über die Identität meines Vaters nachgedacht. Die einzigen Venezianer, die ich je gekannt hatte, waren diejenigen, mit denen ich es getrieben hatte, und so hatte ich naturgemäß angenommen, ich wäre der Bastard irgendeines Seemannes, der nach einer schnellen Nummer zum nächsten Hafen aufgebrochen war. Die Wirklichkeit hätte nicht weniger mit dieser Vorstellung zu tun haben können. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass mein Vater über dieses gesamte Reich herrschte.
Verdrossen betrachtete ich die fantastische Stadt, die langsam aus dem Nebel auftauchte; eine eigenartige Mischung aus Pracht und Verfall. Besonders deutlich wurde dieses Zusammenspiel, als wir in einen kleinen Kanal zwischen zwei Palästen einbogen, der von einer Brücke überspannt wurde. Über der Balustrade baumelten Dutzende Brüste, die den Straßenhuren gehörten, die auf diese Weise ihre Ware feilboten. Das Schild über der Brücke war einen Moment lang klar zu erkennen, ehe es vom Nebel verschluckt wurde: Ponte delle Tette - Tittenbrücke. Wie damals in Florenz betrachtete ich diese Mädchen und erinnerte mich daran, dass ich einmal wie sie gewesen war, doch diesmal empfand ich kein Mitleid, sondern Neid. So ein Leben, das sich nur um den nächsten Kunden und das nächste Stück Brot drehte, erschien mir
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