Das Geheimnis Des Frühlings
hatdu hast einen Schock erlitten, bist zusammengebrochen und warst seither nicht bei Besinnung. Wir ließen dich forttragen und brachten dich hierher.«
Mein Verlobter. Sie hatte das Wort so ausgesprochen, als bestünde diese Verlobung immer noch. Signore Silvio hatte mich mit Niccolo verlobt, als wir beide noch in der Wiege gelegen hatten. Er hatte von mir gewusst, lange bevor ich Bruder Guido kennengelernt hatte.
Bruder Guido . Erst jetzt überwand ich mich, die Frage zu stellen, die meine erste hätte sein sollen, hätte ich nicht solche Angst vor der Antwort gehabt. »Was ist mit Guido della Torre passiert?«
»Wem?« Die gesichtslose Stimme klang ungeduldig.
»Meinem... Begleiter. Dem pisanischen Edelmann.«
»Ach ja, der Mönch, der sich als Edelmann ausgegeben hat. Der Vetter Signore Niccolos. Die Leibwächter der Medici haben ihn fortgeschafft. Er wird seine Anmaßung wohl mit dem Leben bezahlen.«
Beinahe wäre ich erneut ohnmächtig geworden. »Sie wollen ihn hinrichten?« Vor meinem geistigen Auge sah ich die von Fliegen umsurrten Pazzi an ihren Stricken baumeln; sah das augenlose Gesicht des Leichnams im Arno wieder vor mir.
»Natürlich. Er hat sich für seinen Lehnsherrn ausgegeben, das gilt in der Toskana als Hochverrat. Außerdem hat er eine florentinische Staatszeremonie gestört. Er steckt in großen Schwierigkeiten.« Sie winkte einer vorbeigleitenden Barke zu, deren Insassen sich erhoben und sich ehrfürchtig vor ihr verneigten. »Vielleicht lässt Signore Niccolo ja Gnade walten, wenn er in mildtätiger Stimmung ist.«
Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich an den von Hass und Neid auf meinen Freund zerfressenen Niccolo dachte.
Wenn das Schicksal Bruder Guidos in den Händen seines Vetters lag, war er so gut wie tot.
»Aber er wird doch sicher vorher vor Gericht gestellt?«
Meine Mutter hob leicht die Schultern. »Vielleicht. Hier wäre das so. Unser Justizsystem unterliegt strengen Regeln. Aber in der barbarischen Toskana? Dort macht man mit Verbrechern kurzen Prozess, wie ich hörte.«
Trotz der eisigen Kälte brach mir der Schweiß aus. Mein Herz begann vor Panik zu rasen. »Dann muss ich sofort nach Florenz zurück! Ich muss ihn suchen - ihm helfen!« Ich sprang auf. Die goldene Barke schwankte, in meinem Kopf drehte sich alles, und ich sank in die Kissen zurück, doch zuvor hatte sich die weiße Hand meiner Mutter mit eisernem Griff um meinen Arm geschlossen.
»Wenn du bleibst und als meine pflichtgetreue Tochter alles tust, was ich von dir verlange, dann tue ich alles, was in meiner Macht steht, um herauszufinden, was mit ihm geschehen ist. Vielleicht kann ich meine Beziehungen nutzen, um sein Los zu lindern. Ich verfüge über beträchtlichen Einfluss und könnte ihm zumindest den Gang zum Galgen erleichtern.« Als ich Anstalten machte, Einwände zu erheben, hob sie eine Hand. »Wenn du mir nicht gehorchst, werde ich gar nichts für ihn tun. Die Entscheidung liegt bei dir.«
Ich erwiderte nichts darauf, und sie nahm gleichfalls wieder Platz. Sie wusste nur zu gut, dass mir keine Wahl blieb. Ich hatte ihr die Kette, mit der sie mich fesseln und in Venedig festhalten konnte, selbst ausgehändigt.
»Es kommt nicht in Frage, dass du jetzt nach Florenz zurückkehrst«, fuhr sie etwas ruhiger fort. »Du hast Il Magnifico gleichfalls verärgert.«
Il Magnifico. Ein scharfer Stich durchzuckte mich, als ich an den Ring zurückdachte, den ich auf der Hochzeit seines Mündels an Lorenzo de’ Medicis Daumen gesehen und begriffen hatte, dass dieser große Mann mithilfe seines leprösen Handlangers und zusammen mit dem Rest der Sieben finstere Ziele
verfolgte. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, das Rätsel vielleicht mit einem Schlag zu lösen, wenn meine Mutter meine Frage beantwortete.
»Signora?«, begann ich schwach.
»Du kannst mich Dogaressa nennen.«
Ich dachte, sie würde »Mutter« sagen, aber so weit waren wir ganz eindeutig noch nicht. »Die Primavera - Botticellis Gemälde - wisst Ihr, was es zu bedeuten hat? Kennt Ihr das darin enthaltene Geheimnis? Wisst Ihr, was Il Magnifico vorhat? Was für einen Krieg er führen will?«
Die grünen Augen glitzerten jetzt so hart wie Jade, aber hinter der Maske erklang ein helles Lachen. Es war ein angenehmes, melodisches Geräusch, das an ein goldenes Glockenspiel denken ließ, und es war durch und durch falsch.
»Wovon redest du? Von was für einem Geheimnis? Was für einem Krieg? Die Primavera ist lediglich ein
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