Das Geheimnis Des Frühlings
mit einem Mal erstrebenswerter denn je. Ich war so in meine Gedanken versunken, dass ich erst nach einer Weile registrierte, dass meine Mutter weitersprach.
»Daher müssen wir uns bedeckt halten und den Winter hier abwarten«, schloss sie.
Madonna .
Ich musterte die Glasstadt voller Widerwillen. Den Winter hier verbringen? Es war gerade erst August, ich konnte unmöglich ein halbes Jahr hier festsitzen.
Ihr entging nichts. Meinen Gesichtsausdruck richtig deutend,
fuhr sie fort: »Meine Liebe, uns stehen große Ereignisse bevor, und ich... wir sind daran beteiligt. Deine Hochzeit wird nächsten Sommer stattfinden, wenn du siebzehn geworden bist, so wie es in unserem Vertrag mit den Pisanern festgelegt wurde. Und ich schwöre bei Gott, wenn du Niccolo das nächste Mal unter die Augen trittst, wird er dich nicht wiedererkennen. Ich weiß, wie du deine Mädchenjahre verbracht hast, und finde dies... bedauerlich. Wir müssen einen Teil deiner Lebensgeschichte neu schreiben - schwierig, aber nicht unmöglich. Im nächsten Jahr wirst du eine Prinzessin sein und keine kleine florentinische Dirne mehr.«
Die Worte klirrten aus dem Mundschlitz ihrer Maske wie Eisstücke.
Während der letzten Stunde hatte ich verzweifelt versucht, irgendetwas Liebenswertes an meiner Mutter zu entdecken - vielleicht hätte ich ihr dann verzeihen können, dass sie mich im Stich gelassen hatte; ich hätte ihre Kälte in Wärme verwandeln und darüber hinwegsehen können, dass sie das Schicksal meiner einzigen Liebe, des einzigen Menschen, der sich je um mich gekümmert hatte, völlig kaltließ. Aber als sie sich so höhnisch über mein Gewerbe äußerte - das auszuüben sie mich indirekt gezwungen hatte, indem sie mich einfach verstieß -, gab ich jeden diesbezüglichen Versuch abrupt auf. Ich erinnerte mich daran, dass Don Ferrante am Hof von Neapel gesagt hatte, sie sei nur eine emporgekommene Kurtisane, und fand das ganze Gerede von Verwandlung eine Spur zu schwülstig. Sie war nichts Besseres als ich. Ich war der Spross einer wertlosen Hure, der die Familientradition fortgesetzt hatte.
Voller Genugtuung spie ich auf ihre golden maskierte Wange. »Fahr zur Hölle, du heimtückische Schlange! Glaub nicht, ich wüsste nicht, wie du deine Lebensgeschichte beschönigt hast - du bist nichts als eine emporgekommene Kurtisane«, wiederholte ich den Satz genüsslich. »Ich wette, du hast noch vor ein paar Jahren deine Titten über diese Brücke gehängt, als sie
noch so fest und knackig waren wie meine.« Ich beugte mich vor und schoss einen letzten Giftpfeil ab. »Du hast dich auf den Platz an der Seite meines Vaters hochgevögelt, und jeder weiß das.«
Mit einem Mal fühlte ich mich ungeheuer lebendig und wartete, ohne dass sie mich wirklich interessiert hätte, auf ihre Antwort.
»Ah ja. Unzweifelhaft die Sprache einer Travastere-Dirne. Aber das macht nichts. Wir haben einige Monate Zeit, um neben anderen Dingen auch deine Ausdrucksweise zu korrigieren.«
Ich spürte, dass diese unglaubliche Frau hinter ihrer Maske lächelte - und dass mein Ausbruch ihr einen gewissen Respekt abnötigte. Sie mochte Kämpfe, und ich war bereit, mir einen mit ihr zu liefern. »Es interessiert mich einen Dreck, was du sagst. Ich werde diese pisanische Kröte nicht heiraten, und ich werde nach Florenz zurückkehren, sowie du mir den Rücken zukehrst.«
»Wie denn?«, fragte sie schlicht. »Venedig besteht aus hundert von Wasser umgebenen Inseln, und alle Wasserwege werden von deinem Vater kontrolliert. Seine Augen spähen aus jedem Fenster. Und wenn du Venedig verlässt... Was erwartet dich denn in Lorenzos Stadt? Wir haben gerade von seinem Strafgericht gesprochen. Lass mich dir erzählen, wie Lorenzos Rache aussehen kann. Du hast doch sicher von der Pazzi-Verschwörung gehört?«
Madonna. Nicht schon wieder die verwünschten Pazzi. Sie lauerten immer irgendwo im Hintergrund. Ich schwieg missmutig.
»Alle Pazzi mussten für ihre Verbrechen bezahlen, aber keiner einen so grausamen Preis wie Jacopo Pazzi, das Oberhaupt der unseligen Familie. Nachdem er Il Magnifico verraten hatte, floh er aus der Stadt, wurde aber rasch von Lorenzos Männern aufgespürt, zurückgebracht, ins Gefängnis geworfen und gefoltert. Erst als kaum noch Leben in ihm war, wurde er
zum Palazzo della Signoria gebracht, entkleidet und zusammen mit seinen Mitverschwörern aufgeknüpft...«
Dem Erzbischof, wie Bruder Guido gesagt hatte .
»Seine Leiche wurde abgeschnitten, um in der
Weitere Kostenlose Bücher