Das Geheimnis Des Frühlings
langen Festtafel, so weit von mir entfernt wie der Mond - aber nicht weit genug, als dass ich eine bedeutsame Kleinigkeit übersehen hätte. Am Daumen der linken Hand trug er einen goldenen, mit neun Goldkugeln besetzten Ring.
Mein Vater war einer der Sieben.
Mein Verlobter Niccolo della Torre wurde mit keinem Wort erwähnt, aber ich wusste, dass der Ehekontrakt mit Pisa noch
Gültigkeit hatte. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, meinen Stolz hinunterzuschlucken und Niccolo anzuflehen, sich für seinen Vetter einzusetzen. Madonna , ich würde den Widerling sogar heiraten , wenn er es fertigbrachte, Guido zu retten, aber ich wurde von ihm ferngehalten, bis meine Erziehung abgeschlossen war. Wenn er im Haus meines Vaters vorstellig wurde, erfuhr ich nichts davon, und an sämtlichen Verhandlungen durfte ich nicht teilnehmen. Bruchstückhaftem Klatsch meiner Waschfrauen entnahm ich, dass die Frage der Mitgift geklärt und die Hochzeit für den Sommer festgesetzt war, aber ich wollte nicht darüber nachdenken. Ich würde ihn niemals heiraten, und tief in meinem Inneren wusste ich, dass es keinen Sinn hatte, bei ihm ein gutes Wort für Bruder Guido einzulegen. Mir war klar, dass alle meine Bitten bei Niccolo auf taube Ohren stoßen würden.
Aber während ich mich an mein neues Leben zu gewöhnen begann, dachte ich ständig an meinen Freund. Ich kam mir wie ein dreibeiniger Hund oder ein Vogel mit nur einem Flügel vor, so sehr hatte ich mich während der letzten glücklichen Wochen an seine Gesellschaft gewöhnt. Und jetzt wusste ich nicht, ob er noch lebte oder schon am Strick des Henkers sein Ende gefunden hatte. Meine Mutter, die meinen Gehorsam während ihrer Unterrichtsstunden erfreut zur Kenntnis genommen hatte, hielt Wort und ließ in Florenz Nachforschungen über seinen Verbleib anstellen. Ich tigerte in meiner Kammer auf und ab, während ich voller Ungeduld auf eine Antwort wartete, und als der Bote endlich zurückkehrte, brachte er gute Neuigkeiten mit. Guido della Torre war aus dem Bargello entlassen worden, aber sonst war nichts bekannt. Zuerst durchströmte mich eine tiefe Erleichterung, aber dann begannen die Sorgen erneut an mir zu nagen. Wenn man ihn in die Obhut seines Vetters gegeben hatte, wäre er im Gefängnis sicherer gewesen, das wusste ich nur zu gut. Ich bedrängte meine Mutter, mehr herauszufinden, und nach einer Woche, die mir wie ein Jahr vorkam, teilte sie mir mit, dass mein Freund den Armen seiner Brüder
in Santa Croce überantwortet worden war, um dort sein Noviziat fortzusetzen - unter der Bedingung, dass er keinen Versuch unternahm, das Klostergelände zu verlassen. Wieder fiel mir eine Zentnerlast von der Seele, doch dann beschlichen mich leise Zweifel. Ich wusste, dass er sein mönchisches Leben nicht wieder aufnehmen wollte, nahm aber an, dass er lieber das Kloster als den Tod wählte und vielleicht doch noch seinen Frieden mit Gott machte. Damit musste ich mich begnügen, bis ich einen Weg fand, von hier fortzukommen. Im Moment saß ich jedoch in der Falle. Nicht nur die Stadt hielt mich gefangen, sondern auch der Winter, der schneidende Wind, die vom Norden her einsetzenden Schneestürme und die eisigen Tiden. Dennoch war es ausschließlich diese Neuigkeit, die mich in Venedig hielt. Meine Mutter nahm meine Reaktion auf ihre Nachricht fast ebenso erleichtert auf wie ich. Vermutlich ahnte sie, dass ich, wenn ich erfahren hätte, dass Bruder Guido in ernster Gefahr schwebte, mich noch am selben Abend auf irgendeine Weise aus dem Staub gemacht hätte.
Doch die spärlichen Informationen trugen nicht lange zu meiner Beruhigung bei, und meine Zweifel bezüglich Bruder Guidos religiöser Kehrtwende schwollen an wie regenschwangere Wolken am Horizont. Ich musste mit irgendjemandem Kontakt aufnehmen; in Erfahrung bringen, wie es ihm wirklich ging. Hatte er tatsächlich in den Schoß der Kirche zurückgefunden? Ich arbeitete während der Unterrichtsstunden bei meinem dominikanischen Lehrer so hart, wie ich konnte, und kritzelte eines Tages mühsam ein paar Zeilen auf ein Stück Pergament; eine mit Tränenspuren bedeckte Bitte um Informationen, die mit jedem Wort Kummer und Hoffnung ausdrückte. Nach langer Überlegung beschloss ich, den Brief an Bruder Nikodemus, den Kräuterkundigen von Santa Croce zu schicken, da ich nicht wollte, dass mein Freund in Verdacht oder den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geriet, wenn bekannt wurde, dass er seltsame Botschaften aus Venedig erhielt. Ich war mir
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