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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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wo wir hingingen, und es interessierte mich auch nicht. Ich schritt hinter meiner Mutter her, die mich über ihre Schulter hinweg ständig auf irgendeine Sehenswürdigkeit aufmerksam machte, und das auf eine so freundliche, unterhaltsame Weise, dass ich mich zu fragen
begann, ob die Ereignisse des gestrigen Tages nur eine Ausgeburt meiner Fantasie gewesen waren. Sie glich einem Wetterhahn, der innerhalb kürzester Zeit statt Sonne Sturm anzeigt.
    Am San-Zaccaria-Pier gingen wir an Bord der Bucintoro, um dort das wichtigste Ritual des Festes zu zelebrieren - die Hochzeit des Meeres. Mein Vater würde mit seiner Barke in die Mitte der Lagune fahren und dann einen kostbaren Ring ins Wasser werfen, was der Stadt für die nächsten zwölf Monate Glück bringen sollte. Fast hätte ich voller Bitterkeit aufgelacht, denn genau an diesem Pier hätte ich Bonaccorso Nivola treffen sollen.
    Doch dann schlug das Wetter plötzlich um. Vielleicht hatte das Schicksal des armen Seemanns Gott, wenn es denn einen gab, so erzürnt, dass sich der Himmel von einer Sekunde zur anderen verdunkelte und Donnergrollen erklang. Regen prasselte auf die Menge herab, die unter den Kolonnaden Schutz suchte. Blitze zuckten silbern und blau zwischen den Wolken auf. Die Kurtisanen flohen kreischend, rafften ihre Röcke und entblößten haarige Beine. Federn und Pelze flatterten, billige Farbe rann in Strömen aus den Kostümen auf den Boden. Jedermann versuchte sich unter den Loggias rund um den Platz in Sicherheit zu bringen. Ich blieb einen Moment lang mir selbst überlassen, blind vom Regen, woraufhin ein leises Lächeln meine Lippen kräuselte - die Pocken über die Venezianer und ihren Karneval! Ich schlug die Augen wieder auf, blickte gen Himmel und betete, dass mich der nächste Blitz treffen möge, dass mein Haar golden genug schimmerte, um die feurigen Strahlen anzuziehen. Und wie zur Antwort auf meine Gebete wurde ich erneut geblendet, als der Himmel aufriss - aber der Blitz streckte mich nicht nieder, sondern ließ etwas erstrahlen, was ich jeden Tag gesehen, bislang aber nie bewusst wahrgenommen hatte.
    Hoch oben über dem Tor der Basilika standen vier Bronzepferde auf einer vergoldeten Plattform. Sie wirkten wie in Feuer gebadet, die edlen Hälse waren gebogen, Schaum stand
vor ihren Mäulern und Nüstern, und ihre Vorderbeine scharrten über den Boden. Wie ein bedrohliches Quartett erhoben sie sich über der Stadt. Viele Jahre später sollte mein Mann mir erzählen, dass sie aus dem Hippodrom von Konstantinopel gestohlen worden waren - die einzige erhaltene Quadriga der römischen Welt - und Venedigs weltliche Macht symbolisieren sollten. An diesem Tag jedoch erkannte ich mit einem Mal, was die Pferde zu bedeuten hatten: Sie zeugten davon, dass die Apokalypse über Venedig hereinbrechen würde. Und es kümmerte mich einen feuchten Kehricht.
    Und trotzdem entschied sich mein Verstand just in diesem Moment des Untergangs der Welt, der mich so seltsam kaltließ aus irgendeinem unerklärlichen Grund, Wiedergutmachung für meine Begriffstutzigkeit vom Tag zuvor zu leisten. Die Puzzleteilchen fügten sich plötzlich zu einem Gesamtbild zusammen - während vier Winde aus allen Richtungen auf mich einhämmerten, meine Schuhe sich mit Wasser füllten, der große Platz allmählich überschwemmt wurde und ich mich allein wie ein dem Untergang geweihtes Schiff gegen die Fluten behauptete, begriff ich endlich, was mir schon längst hätte klar sein müssen. Der Regen trommelte auf meinen Kopf, und zusammen mit den schweren Tropfen sickerten auch drei Gedanken in ihn ein.
    Credo uno : Flora hielt zweiunddreißig Rosen in ihren Röcken. Die Kompassrose wies zweiunddreißig Punkte auf.
    Credo due : Die Windrose zeigte vier Winde an, und vor mir sah ich vier Pferde.
    Credo tre : Zephyr, der Westwind, schändete Chloris. Chloris, die Geliebte des Windes. Chloris, meine Mutter. Chloris - Venedig.
    Als hätte der Blitz plötzlich den dunkelsten Winkel meines Verstandes erleuchtet, begriff ich, dass das Geheimnis, welches diese Stadt barg, von dem ganz links stehenden Pferd gehütet wurde. Dem Ponente-Pferd.
    Dem Zephyr-Pferd.

    Dann spürte ich, wie mich jemand am Ärmel zupfte. Marta, der ewige Mühlstein an meinem Hals, hatte sich auf die Suche nach mir gemacht und zog mich jetzt in den Vorhof der großen Basilika, wo sich das herzogliche Gefolge triefnass und dampfend versammelt hatte. Draußen tobte der Sturm, der Regen prasselte auf den Markusplatz

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