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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Unterarm, die einem Nudelholz glich. Aufgeregt kam ich zu dem Schluss, dass etwas darin verborgen sein musste; ein zusammengerolltes Dokument, Münzen, ein Bild. Meiner Meinung nach musste die Rolle hohl sein wie ein Rohr, aber nein, sie bestand aus massivem Holz. Es prangten Zeichen darauf, seltsame Schnörkel und Windungen, aus denen ich nicht schlau wurde. Vielleicht handelte es sich bei dieser Rolle lediglich um eine Beschwerung, die der Kupferschmied in das Bein des Tieres eingearbeitet hatte und die nicht für die Augen Außenstehender bestimmt war. Ich ließ das hölzerne Ding zu Boden fallen und schlug die Hände vors Gesicht. Als ich sie wieder sinken ließ, wusste ich, dass jemand vor mir stehen würde - entweder Marta oder einer der Wächter meines Vaters.
    Und ich irrte mich nicht.
    »Ich bin bereit«, flüsterte ich. »Bringt mich heim.«
    Aber die Kreatur vor mir zählte nicht zu denen, die ich erwartet hatte, vielmehr schien sie einer anderen Welt entsprungen zu sein. Ein großer Löwe erhob sich auf den Hinterbeinen vor mir, mit einem Gesicht aus getriebenem Gold und dem Körper eines Mannes. Die Maske ähnelte denen meiner Mutter,
nur dass sie das ganze Gesicht eines Löwen zeigte, nicht nur das halbe, und es von einer üppigen Mähne umrahmt wurde. Das Maul war geöffnet wie die Bocca di Leone. Jetzt wusste ich, dass ich verloren war. Die Apokalypse hatte mich ereilt. Der Löwe von San Marco, das Geschöpf, das ich fürchtete, seit ich das Arsenale betreten und Bonaccorsos Schicksal besiegelt hatte, der Herrscher dieser Stadt war gekommen, um mich zu verschlingen.
    Ich war Daniel.
    »Ich bin bereit«, wiederholte ich. »Wir können gehen.« Ich war davon überzeugt, dass ich bereits tot war, denn die Kreatur blickte mich mit Augen an, von denen ich geträumt hatte; sprach mit einer Stimme, die ich nur zu gut kannte.
    »Luciana. Ich bin es.«
    Ich riss ihm die Maske vom Gesicht, schlang die Arme um ihn, presste ihn an mich, weinte und lachte gleichzeitig und hätte ihn wieder und wieder geküsst, hätte er mich nicht auf Armeslänge von sich gehalten.
    »Keine Zeit«, raunte er. Er hob die hölzerne Rolle auf und drückte sie mir in die Hand. »Pass gut auf die Karte auf. Verlier nicht den Mut. Ich sehe dich in Mailand wieder.«
    Er sah mich noch einmal so eindringlich an, als wolle er sich mein Gesicht genau einprägen, dann war er verschwunden, und Marta stand so plötzlich neben mir, dass mir kaum die Zeit blieb, die hölzerne Rolle in meinem Ärmel zu verbergen.
    Bruder Guido musste ihr auf den Stufen begegnet sein.
    Als wir die Basilika verließen, war der Sturm weitergezogen, und die Sonne schien wieder. Der ganze Platz stand unter Wasser, und die ganze Stadt schien sich darin widerzuspiegeln. Etwas so Schönes hatte ich noch nie gesehen. Marta ging jedoch kein Risiko ein. Sie hielt meinen Oberarm so fest umklammert, dass mit Sicherheit blaue Flecken zurückbleiben würden. Wir wateten durch kniehohes Wasser, bis eine herzögliche Sänfte auf uns zukam, aber ich störte mich nicht daran.
    Er war am Leben.

8
    Ich wusste, dass Marta, die feige Ratte, mein Verschwinden mit keinem Wort erwähnen würde. Zum Glück für sie waren wir nur kurze Zeit getrennt gewesen, sodass niemand vom Gefolge meines Vaters etwas mitbekommen hatte. Nach unserer Rückkehr behauptete ich, dass wir gemeinsam um Errettung vor dem Unwetter gebetet hatten. Ich fing einen raschen Blick meiner Mutter auf, die genau wusste, dass ich nicht übermäßig fromm war, aber Marta stimmte so eifrig zu, dass über die Angelegenheit kein Wort mehr verloren wurde. Das Mädchen wusste, was gut für es war. Meine Mutter hätte sie auspeitschen lassen, wäre ihr zu Ohren gekommen, dass Marta mich auch nur einen Moment aus den Augen gelassen hatte, und hätte, grausam wie sie war, die Strafaktion womöglich noch eigenhändig durchgeführt.
    Aber danach bereitete ich Marta keine Schwierigkeiten mehr, o nein. Ich gab mich nett und liebenswürdig, so gehorsam wie die brave Klosterschülerin, die ich einst gewesen war. Ich nahm an allen Karnevalsveranstaltungen teil, betrieb höfliche Konversation mit den Verbündeten meines Vaters, saß an der Seite meiner Mutter und nähte und strengte mich in meinen Unterrichtsstunden nach Kräften an. Mir reichte es, dass Bruder Guido lebte, nicht wie Bonaccorso unter der Folter verstümmelt worden war und er mich wiedersehen wollte. Es war mir egal, wie es ihm gelungen war, mir hierher zu folgen. Es war

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