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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Cristoforos Bezeichnung kam mir wieder in den Sinn und gewann im Zusammenhang mit dem Los des unglücklichen Seemanns, der mir die Flucht hatte ermöglichen wollen, plötzlich eine immense Bedeutung. Ich schwor mir, Bonaccorsos Frau und Kinder zu unterstützen, sobald es mir möglich war, denn nur Gott allein wusste, ob er die pozzi je wieder verlassen würde. Wenigstens war Signore Cristoforo, wenn meine Mutter die Wahrheit gesagt hatte, nur verbannt worden; er durfte zu seinem Bruder und zu seinem geliebten Laden am Meer zurückkehren und konnte seine Frau und seinen Sohn, den er noch nie gesehen hatte, in die Arme schließen. Zumindest dafür war ich dankbar.

    Aber für mich selbst sah ich keine Hoffnung mehr. Ich wusste, dass es für mich kein Entkommen gab; dass ich hier festsitzen würde, bis ich dank einer grausamen Laune des Schicksals über die Berge nach Pisa gebracht werden würde, um den widerwärtigen Vetter des Mannes zu heiraten, den ich liebte. Jeden Tag meines restlichen Lebens würde ich daran erinnert werden, dass ich mir eine Fälschung eingehandelt hatte, eine schlechte Kopie des Mannes, den ich eigentlich wollte. Schlimmer noch: Bruder Guido saß immer noch im Bargello, einem Gefängnis, das mindestens ebenso furchtbar war wie das, aus dem ich eben geflohen war.
    Voller Verzweiflung trat ich an die Truhe unter meinem Fenster. Hatte sie meine Kammer durchsucht? Nein, das Gold, das ich ihr am Abend zuvor gestohlen hatte, war noch da. Ich nahm es heraus, schüttete es in das Taschentuch, in dem ich es Bonaccorso Nivola hatte übergeben wollen, und befestigte es wie eine Geldkatze an meinem Oberschenkel. Wenn ich mir damit schon nicht die Freiheit erkaufen konnte, konnte ich es zumindest seiner Familie schicken, wie ich es versprochen hatte. Und noch etwas lag vergessen und zerknittert auf dem Boden der Truhe. Ich nahm es heraus. Der cartone.
    Ich riss das Fenster auf, um das Ding in die Lagune zu werfen, denn es hatte Enna, Bembo, Bruder Remigio, Bonaccorso und wahrscheinlich auch Bruder Guido zerstört. Und mich. Aber es war das Einzige, was mich noch mit Bruder Guido verband; das Einzige, was mir geblieben war, das wir beide berührt hatten. Meine Finger wollten das Pergament nicht freigeben, so heftig der Westwind auch daran zerrte. Das Heulen des warmen Luftstroms brachte mir Signore Cristoforos Worte zurück.
    Der Westwind. Der Westwind kündigt den Frühling an. Zephyr .
    Ich schloss das Fenster mit einem Ruck, zündete eine Kerze an, entrollte das Pergament sorgfältig und beschwerte die Ecken, so wie mein Freund und ich es immer getan hatten. Dann wanderte mein Blick über das Bild, das meine verlorene
Liebe unde ich so oft gemeinsam betrachtet hatten, und blieb an der Figur der Chloris hängen - meiner Mutter, die heute das Blut eines Mannes gekostet hatte. Sie wirkte unschuldig und verängstigt, wie sie da versuchte, vor der blau geflügelten Erscheinung an ihrer rechten Schulter zu fliehen.
    Zephyr.
    Sie streckte die Hände Hilfe suchend nach Flora aus - nach mir. Mir fiel auf, dass Chloris’ Hemd stark dem ähnelte, das meine Mutter heute getragen hatte. Dann musterte ich erneut die Blumen, die aus ihrem Mund strömten, und dachte plötzlich an Bruder Nikodemus’ Worte zurück.
    Blumen entweichen aus ihrem Mund wie Wahrheiten .
    Plötzlich wusste ich, dass sie etwas zu bedeuten haben mussten. Ich biss die Zähne zusammen. Nun gut. Wenn ich schon nicht fliehen konnte, konnte ich wenigstens versuchen, die tödlichen Pläne zu durchkreuzen, die meine Mutter mit Lorenzo de’ Medici schmiedete - wie auch immer sie aussehen mochten. Ich wischte mir die Tränen von den Wangen und konzentrierte mich; verglich die Blumen, die aus ihrem Mund quollen, mit denen auf Floras Kleid, zerbrach mir den Kopf, um mich an all das zu erinnern, was im Herbarium gesagt worden war, und rief mir sein Gesicht, seine Stimme und seine schlanken Hände ins Gedächtnis, die die Namen der Blumen niederschrieben. Dann untersuchte ich jede einzelne Blüte eingehend. Es schienen insgesamt zehn zu sein, aber ich sah sofort, dass es sich bei einigen davon um bloße Unterarten handelte. Insgesamt zählte ich vier Hauptarten und meinte nach langem Nachdenken, sie identifiziert zu haben. Die beiden Blumen, die fast zwischen Chloris’ Zähnen klemmten, waren Hundertaugen, »Occhiocenti«, eine gewöhnliche immergrüne Heckenpflanze. Bei den kleinen weißen Blumen mit der gelben Mitte handelte es sich um Anemonen, danach

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