Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
Vom Netzwerk:
müssen diesen Bruder finden. Wo könnte er denn sein, wenn nicht im Bett?«
    »Ich weiß es nicht.« Er schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich war nach dem Gebet dicht hinter ihm, bis Ihr an mich... herangetreten seid. Wenn er nicht auf seiner Pritsche liegt, muss er in die Bibliothek oder vielleicht ins Skriptorium gegangen sein, um dort private Studien zu betreiben.«
    »Und wo sind diese Räumlichkeiten zu finden?«, fragte ich schärfer, als ich es beabsichtigt hatte.
    »Auf der anderen Seite des Hofes.«
    »Dann los.«
    Ich griff nach seinem Ärmel und zog ihn über den Rasen. Jetzt gab es keinen Grund mehr, uns zu verbergen - im Gegenteil, es war weit sicherer, sich auf offenem Gelände aufzuhalten, wo sich niemand unbemerkt an uns heranschleichen konnte. Wir steuerten schweigend auf den Baum und den Brunnen zu, und als wir beides fast erreicht hatten, ergriff Bruder Guido erneut das Wort. Diesmal schwang unüberhörbare Erleichterung in seiner Stimme mit.
    »Wir haben uns umsonst Gedanken gemacht«, seufzte er. »Er ist hier.«
    Zuerst konnte ich nicht erkennen, worauf er deutete, doch dann begriff ich, dass es sich bei dem, was ich für einen über
den Brunnen geneigten Baum gehalten hatte, in Wirklichkeit um einen hoch gewachsenen Mönch mit einem Lockenschopf wie dem Bruder Guidos handelte, der sich gedankenversunken über das Wasser beugte. Mit einem Mal keimte Unbehagen in mir auf. Es geflel mir nicht, dass sich der »Baum«, seit ich ihn vor ungefähr einer halben Stunde zum ersten Mal gesehen hatte, überhaupt nicht von der Stelle gerührt zu haben schien. Als wir noch ein paar Schritte näher an ihn herantraten, stellte ich fest, dass der Bibliothekar ebenfalls eine Flugschrift in der Hand hielt. Bruder Guido berührte ihn an der Schulter und nannte seinen Namen.
    Daraufhin löste sich der Kopf des Bibliothekars von seinem Rumpf und fiel in den Brunnen.
    Der grässliche Anblick bewirkte, dass wir volle sieben Herzschläge lang wie erstarrt dastanden und uns nur voller Entsetzen ansahen. Erst das grausige Klatschen, mit dem der Kopf auf dem Wasser auftraf, veranlasste mich, Bruder Guido zu packen und hinter dem Brunnen und dem Rest des Leichnams zu Boden zu drücken. Der Mönch war totenbleich, seine Lippen bewegten sich in einem stillen Gebet oder dem Katechismus - was es war, konnte ich nicht sagen. Erst als er mich mit seinem von nacktem Grauen erfüllten Blick fixierte, begannen seine Worte einen Sinn zu ergeben. »Fort mit dir! Ich kann dir nicht helfen. Übe deine teuflischen Künste anderswo aus, und lass mich fortan in Ruhe!«
    Nun hat man mir in meinem Leben schon vieles vorgeworfen, aber die Ausübung teuflischer Künste gehörte bislang nicht dazu. Ich musste ihn unbedingt dazu bringen, sich mit meinen Problemen zu befassen, aber ich kannte nur einen Weg, einen Mann dazu zu bewegen, einer Frau in einer Notlage beizustehen: ihm seine eigene missliche Situation so drastisch wie möglich vor Augen zu führen. Und er steckte bis zum Hals in Schwierigkeiten. Ich mag zwar ungebildet sein, aber auf den Kopf gefallen bin ich nicht, und mir war nur allzu klar, was geschehen sein musste. Also packte ich seine Kapuze und zog
sie um seinen Hals zusammen. »Jetzt hört mir einmal gut zu, Ihr feiger Sack Franziskanerscheiße«, zischte ich. »Ich schwebe in Lebensgefahr, aber wenn Ihr mir nicht helfen wollt, kann ich es auch nicht ändern. So viel zu Euren Pflichten als Hirte Gottes, aber jetzt ist keine Zeit, um über Gewissensfragen zu diskutieren. Ihr solltet jedoch wissen, dass ich heute Nachmittag ein Bild gestohlen habe, und bei der Suche danach hat es bislang drei Tote gegeben, zu denen auch Euer Bruder Bibliothekar hier gehört.« Er machte Anstalten, eine Frage einzuwerfen, doch ich war nicht zu bremsen. »Sie sind hierhergekommen, um die Flugschrift zu suchen, die ich an Stelle des Bildes zurückgelassen habe. Sie wollen Euch finden. Euer Bruder hier«, ich blickte zu dem über uns aufragenden kopflosen Leichnam, »möge er in Frieden ruhen, aber der Mörder hat ihn mit Euch verwechselt. Er saß in der Kirche neben Euch, seine Zelle liegt neben der Euren. Er bewahrt diese Flugschriften in seiner Kammer auf. Er ist groß und schlank, genau wie Ihr. Er hat... hatte... dunkles lockiges Haar. Der einzige Unterschied zwischen euch beiden bestand darin, dass er als oberster Bibliothekar und geweihter Mönch eine Tonsur trug und Ihr nicht. Aber er hatte wie alle anderen Brüder auch seine Kapuze

Weitere Kostenlose Bücher