Das Geheimnis Des Frühlings
bis hin zu stark zurechtgebogener Wahrheit - im Geiste sorgsam abgewogen und immer wieder wie einen Katechismus stumm aufgesagt. Und ich war davon überzeugt, zu der Entscheidung gelangt zu sein, die am besten zu mir und meinem Lebenswandel passte und die ich am glaubwürdigsten würde vertreten können.
Ich hatte beschlossen, das Blaue vom Himmel herunterzulügen.
Also sank ich zu Boden, griff nach seiner Hand und hob wie eine wahrhaft bußfertige Sünderin das Gesicht zu ihm empor. Meine eigenen Augen, klar und grün wie Glas, standen den seinen an Schönheit nicht nach, und ich ließ sie tränenfeucht aufschimmern. »Bruder, ich schäme mich so wegen meines heutigen Benehmens. Es ist wahr, ich bin vom rechten Weg abgekommen und wünsche mir nichts sehnlicher, als wieder in die Herde des Herrn aufgenommen zu werden. Ihr habt mir Zuflucht angeboten, und die brauche ich jetzt mehr denn je.« (Das zumindest entsprach der Wahrheit.) »Ich bin gekommen, um Euch darum zu bitten, hier unterschlüpfen zu dürfen, bis ich in das Nonnenkloster eintreten und eine Braut Christi werden kann.«
In dem Gesicht des Mönches rangen Erstaunen, Ungläubigkeit und Widerwille miteinander. Im hellen Tageslicht war er sicher bereit gewesen, einer wertlosen Hure zu helfen, hatte aber nicht erwartet, besagte Hure mitten in der Nacht innerhalb der Mauern seines Klosters am Hals zu haben. Seine Worte ließen an seiner Absicht keinen Zweifel - er wollte mich so schnell wie möglich wieder loswerden. »Schwester... Signorina... Ich kann nicht... Ich meine, zu dieser Stunde kann niemand irgendetwas für Euch tun. Wir beginnen gerade mit den täglichen Gebeten. Ich muss Euch bitten... Ihr müsst einsehen, dass Ihr hier nicht...« Er brach ab und seufzte. »Signorina, ich muss Euch ersuchen, das Kirchengelände leise und unauffällig zu verlassen und am Morgen am Tor vorstellig zu werden.«
Ich erwog, ihn über den Charakter des Mönches am Tor aufzuklären, an den ich mit meiner Bitte würde herantreten müssen - Malachi war nichts als ein Zuhälter im Gewand eines Geistlichen. Doch ich verwarf den Gedanken sofort wieder. Für solche kleinen Giftpfeile war jetzt keine Zeit.
»Es tut mir leid, Bruder, aber ich weiß nicht, wo ich hingehen
soll. Nach Hause kann ich nicht zurück.« Anscheinend war es an der Zeit, die eine oder andere Drohung fallen zu lassen. »Wenn Ihr mir nicht helfen könnt, wird vielleicht einer der anderen Brüder...« Ich trat einen Schritt auf die Tür zu.
Er hielt mich mit erhobener Hand auf. »Wartet.« Ich konnte fast hören, wie sich seine Gedanken überschlugen. Meine Worte hatten ihn auf eine Idee gebracht. Sein nächster Schritt würde darin bestehen, die Verantwortung für mich auf einen anderen abzuwälzen.
»Signorina, ich denke, ich muss Euren Fall Bruder Remigio vortragen, meinem Vorgesetzten und einem der Initiatoren unseres lobenswerten Projektes. Er ist ein gebildeter Mann; er hat die Flugschrift verfasst, die ich Euch heute gegeben habe.« Selbst in der dunklen Kapelle entging mir nicht, dass er errötete, was mir verriet, dass er sich sehr genau daran erinnerte, was ich mit der ersten Kopie gemacht hatte. (Ich hielt es für ratsam, ihm zu verschweigen, wo ich die zweite gelassen hatte.)
Obwohl ich mich über seine Unschlüssigkeit ärgerte, konnte ich ihn verstehen. Er wollte mich loswerden, wollte wie Pilatus seine Hände in Unschuld waschen und mich der Obhut seines Vorgesetzten übergeben. Was mir nur recht war: Je höher im Rang mein Beschützer stand, desto sicherer war ich. Meinem attraktiven Mönch konnte ich hinterherschmachten, wenn diese ganze Geschichte ausgestanden war. Bruder Guido trat zur Tür und spähte rechts und links in den Hof hinaus. Die Schritte seiner Mitbrüder verklangen, Türen wurden geöffnet und geschlossen, als sie in ihre Zellen zurückkehrten; zweifellos, um vor dem nächsten Gottesdienst noch etwas Schlaf zu finden. Sowie Stille herrschte, bedeutete mir der Mönch, meine Kapuze hochzuschlagen, tat es mir nach und führte mich in den Hof hinaus. Das gepflegte Rasenrechteck schimmerte dunkelgrün, der Himmel darüber samtig blau. Wieder spürte ich, wie mich ein Gefühl des Friedens überkam. Bruder Guidos Hand ruhte unter meinem Ellbogen. Es tat gut, nicht länger allein zu sein.
Wir schlichen auf Zehenspitzen durch eine große Doppeltür links von der Pazzi-Kapelle und gelangten in einen weitläufigeren, diesmal quadratischen Hof mit zahlreichen Türen, die zu
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