Das Geheimnis Des Frühlings
wie recht der Bruder hatte, aber ich hatte schon einen Schuh verloren, ehe ich den zweiten fortgeworfen hatte - hätte ich vielleicht mit nur einem Schuh weiterhumpeln sollen? Ich warf den Kopf in den Nacken und beschleunigte mein Tempo, um ihn einzuholen, hatte aber Mühe, mit seinen weit ausgreifenden Schritten mitzuhalten.
»Wo wollen wir eigentlich hin?«, keuchte ich.
Er drehte sich um. »Nach Fiesole. Dort gibt es auf dem Gipfel des Hügels ein Franziskanerkloster, wo man uns Obdach gewähren und unsere leiblichen Bedürfnisse befriedigen wird, bis wir einen Ausweg aus unserer momentanen Zwangslage gefunden haben.«
Ich entnahm dieser kleinen Ansprache drei Dinge.
Qualcosa uno : Bruder Guido hatte nicht länger die Absicht, mich loszuwerden. Sein Gebrauch der Wörter »wir« und »uns« wärmte mein frierendes Herz. Aber...
Qualcosa due : Er war wütend auf mich. Und ich konnte ihm keinen Vorwurf daraus machen. Eben noch hatte er sicher und geborgen in Santa Croce gelebt und sich um nichts weiter Gedanken machen müssen als um die Frage, welches Buch er am nächsten Tag lesen sollte, und im nächsten Moment rannte er mit einer Prostituierten, die ihn unnötigerweise in Todesgefahr gebracht hatte, um sein Leben. Oh ja, und...
Qualcosa tre : Sein Sprachstil unterschied sich stark von dem meinen, er würde sich nie mit einem kurzen Wort begnügen, wenn er ein langes benutzen konnte.
Eine Weile trottete ich schweigend neben ihm her, aber als das Gelände hinter der Stadt anzusteigen begann, bat ich
ihn, eine Pause einzulegen, da sich an meinen Füßen Blasen zu bilden begannen. Der Blick, mit dem er mich bedachte, war nicht unfreundlich, und dann half er mir, mich vor einem Ginsterbusch niederzulassen. Ich wackelte mit meinen wunden Zehen und beklagte stumm, dass diese armen Gliedmaßen nicht für derartige Expeditionen geschaffen worden waren. Ich hatte immer so hübsche weiße Füße gehabt - das hatte sogar dieser Botticelli festgestellt, als ich als Flora posiert hatte. Ich erinnerte mich auch daran, dass ich einmal im Haus eines weniger bedeutenden Medici meine Füße in einer goldenen, mit Rosenwasser gefüllten Schüssel gebadet hatte, nachdem die silbernen türkischen Pantoffeln, die ich auf sein Geheiß im Bett getragen hatte, die Haut wund gescheuert hatten. Jetzt sahen sie verheerend aus, und dicke Tränen des Selbstmitleids traten in meine Augen. Ich nahm den Mönch nur verschwommen wahr, als er vor mir niederkniete. »Signorina«, begann er stockend, »dürfte ich Euch anbieten... Ich würde gerne tun, was in meinen Kräften steht, um Eure Beschwerden zu lindern und Euch etwas Erleichterung zu verschaffen...«
Zu meiner Überraschung hielt er mir seine eigenen Sandalen hin, einfache Ledersohlen, die von einem schlichten Riemen gehalten wurden. Aber ich musste nur eine gegen meinen Fuß halten, um zu der Einsicht zu gelangen, dass ich genauso gut versuchen könnte, in zwei Krabbenkähnen vom Arno weiterzuwatscheln, so groß waren sie. Der Größenunterschied zwischen den Füßen des Mönches und meinen entlockte mir das erste Lächeln an diesem Abend, das noch breiter wurde, als mir der Gedanke kam, er müsse demzufolge auch einen beachtlichen Schwanz haben.
Über uns kreisten Falken um die Kuppel der Kathedrale, die der gestreifte Marmor wie einen im Zwielicht dösenden, nach der Jagd gesättigten und den Tagesanbruch erwartenden großen Tiger erscheinen ließ. Daneben glich der mit Zinnen gekrönte Turm des Medici-Palastes den gefletschten Zähnen eines Krokodilmauls. Bruder Guido zog mich auf die Füße.
Ich spürte, dass seine Haltung mir gegenüber nachsichtiger geworden war; er schien zu begreifen, dass ich das, was geschehen war, nicht absichtlich herbeigeführt hatte, sondern aus Dummheit in diesen Strudel der Ereignisse geraten war und nun verzweifelt versuchte, mich daraus herauszuwinden; ich hatte mich gewissermaßen kopfüber in einen Brunnen gestürzt und war mir erst während des Sturzes dieses fatalen Fehlers bewusst geworden. Ich erwog, dem Bruder gegenüber irgendetwas in dieser Art zu erwähnen, aber dann fiel mir ein, dass diese Metapher für ihn mit unliebsamen Erinnerungen verknüpft sein könnte. Ich sah ja selbst den Kopf seines Freundes wieder in den Brunnen von Santa Croce plumpsen und hörte das ekelerregende Aufschlagen auf dem Wasser. Also stapfte ich schweigend weiter und wartete darauf, dass er von sich aus das Wort ergriff. Was er nach einer Weile auch
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