Das Geheimnis Des Frühlings
ein wie die Mönche in Santa Maria delle Grazie, denn die Messe war soeben zu Ende gegangen, und die Brüder und Novizen waren hinausgeschlurft, um bis zum nächsten Gottesdienst noch ein paar Stunden Schlaf zu finden. Nur ein einzelner Sakristan war wie damals in einer dem Untergang
geweihten Kirche in Neapel zurückgeblieben, um die Kerzen zu löschen.
Wir schritten geräuschlos durch das Kirchenschiff, dann räusperte sich Bruder Guido vernehmlich. Der alte Mann drehte sich mit einem so freundlichen Lächeln um, als habe er uns erwartet.
»Ich bitte um Verzeihung, Bruder«, begann Bruder Guido. »Ich gehöre zu Herzog Ludovicos Leibgarde.« Der alte Mönch musterte ihn von Kopf bis Fuß, registrierte seine brandneue Rüstung, seine Größe, seine edlen Züge. »Ich habe die Ehre, die Dogaressa der Republik Venedig zu eskortieren.« Er deutete auf mich, woraufhin dem alten Mann fast der Mund offen stehen blieb.
Ich versuchte, eine so hochmütige Miene aufzusetzen, wie es mir möglich war.
»Ich bin beauftragt, Euch zu bitten, der Dogaressa eine private Besichtigung Eurer berühmten Reliquien zu gewähren, denn sie möchte ungestört dort beten, ohne von neugierigen Augen beobachtet zu werden.«
Dem Sakristan schien es die Sprache verschlagen zu haben. Ich trug zwar nur meinen Nerzumhang statt prunkvoller Kleider, aber mit der Löwinnenmaske meiner Mutter und meiner goldenen Haarflut musste ich trotzdem einen beeindruckenden Anblick bieten.
Bruder Guido ergriff erneut das Wort. »Ich trage Herzog Ludovicos Siegel bei mir, wie Ihr seht.« Er hielt das Tonplättchen mit der Schlange darauf in die Höhe, das er mir einige Zeit zuvor gezeigt hatte.
»Ja, sicher, das geht schon in Ordnung. Nur...« Der alte Mann brach ab.
»Ja?«
»Es ist nur... nun... Welche Reliquie wünscht die Dogaressa zu sehen? Unseren gesegneten heiligen Ambrosius oder«, er blickte auf das Siegel hinab, »Nehushtan?« Es klang, als würde er niesen.
Bruder Guido und ich wechselten einen Blick. Ich sah ihm an, dass er das zweite Wort ebenfalls nicht kannte, wenn es denn ein Wort war.
»Den Heiligen natürlich.«
Der Sakristan nickte. »Hier entlang, bitte.«
Wir folgten ihm gehorsam zu ein paar Stufen, die in eine Krypta führten. Ich zupfte Bruder Guido drängend am Ärmel - wir konnten nicht ungestört nach Hinweisen suchen, wenn dieser Mönch ständig hinter uns stand. Mein Freund nickte knapp.
»Macht Euch keine Umstände, Bruder. Geht nur weiter Euren Pflichten nach. Ich werde bei der Dogaressa bleiben. Sie möchte einige sehr private Gebete sprechen... Ihr versteht?«
Der Mönch verneigte sich in meine Richtung und zog sich zurück. Ich belohnte ihn mit einem leichten Neigen des Kopfes, wie es meine Mutter bei Dienern tat, mit denen sie zufrieden war, und rauschte die Stufen hinunter.
In der düsteren Krypta brannten drei Kerzen für die drei Heiligen, die so eng beieinanderlagen, als teilten sie sich ein Bett. Ihre Leiber waren verdreht, ihr Fleisch wächsern, und statt in prächtige Gewänder waren sie in zerschlissene Bandagen gehüllt. Gervasius, Protasius und Ambrosius, für die Ewigkeit mumifiziert. Selbst ihr prunkvolles goldenes Bett konnte den Eindruck von Verfall nicht mildern. Der heilige Ambrosius war mit Abstand der Hässlichste von allen; sein Körper war missgebildet, sein Kopf aufgeschwollen wie ein Ballon und sein Gesicht auf einer Seite eingefallen, sodass er schief zu grinsen schien.
Bruder Guido entging mein Blick nicht. »Dem heiligen Ambrosius fehlte ein Eckzahn«, erklärte er. »Er sah schon zu Lebzeiten merkwürdig aus.«
Wir durchsuchten die Krypta gründlich, dabei flüsterten wir nur leise miteinander, als wären die drei Heiligen nicht tot, sondern würden nur schlafen.
»Hmm«, machte ich endlich. »Hier ist nichts, jedenfalls nichts, was mit Schlangen zu tun hat.« In der Hoffnung auf ein Wunder sah ich zu den Mumien hinüber.
» Kraft dieser sterblichen Überreste löste sich die Dunkelheit auf, die den Blinden umgab, und er sah das helle Licht des Tages «, zitierte Bruder Guido die Worte der Ambrosiuslegende noch einmal. In dieser Umgebung klangen sie wie ein Gebet, nur dass er seit Rom nicht mehr gebetet hatte.
»Wir sind heute Nacht die Blinden«, grollte ich, dann kam mir ein Gedanke. »Vielleicht sollten wir nach oben schauen, wie Merkur in der Primavera.« Wir verrenkten uns die Hälse, konnten aber außer dem Kreis freundlichen Kerzenlichts nichts sehen.
»Oben
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