Das Geheimnis Des Frühlings
in...« Ich begann an den Fingern abzuzählen.
»In sechs Tagen«, beendete er den Satz für mich. »Zu lange hin. Und ich hätte mein gesamtes Regiment um mich herum. Wir müssen rascher handeln.«
Er beugte sich erneut über die Brustwehr, und noch ehe ich ihn fragen konnte, was zum Teufel er da tat, begrüßte er einen der unten postierten Wächter.
»He, Lucca!«
Von unten erscholl eine joviale Stimme: »Wer da? Ach, du bist es, Guido. Ich dachte, du bewachst das hübsche venezianische Täubchen.«
»Die ist sicher weggeschlossen und schnarcht, dass die Wände wackeln.« Bruder Guido imitierte die raue Soldatensprache perfekt. »Hast du die nächste Wache bei ihr?«
»Ja, von der Vesper bis zur Terz. Kein Problem, die würde ich auch noch im Traum bewachen, wenn ich im Bett liege.« Ich sah förmlich vor mir, wie er sich zwischen die Beine griff. Der Mann lachte obszön.
»Hör zu, lass mich deine Schicht übernehmen und mach morgen für mich eine doppelte, ja?« Bruder Guido pfiff leise durch die Zähne. »Da ist dieses Mädchen in Porta Ticinese...««
»Warst du nicht einmal ein Mönch?«
»War. Was meinst du, warum ich keiner mehr bin?«
Weiteres Gelächter ertönte. »Na schön, Bruder , wie du willst. Ich hab nichts gegen ein paar Stunden Schlaf.«
» Dio benice«, intonierte Bruder Guido einen sarkastischen Segen. Beide Männer glucksten, dann sprang er auf und sah mich an.
»Lass uns gehen. Wir haben nur zwei Stunden, bis jemand Lucca ablösen kommt.«
»Wohin willst du?«
»Zur Kirche Sant’Ambrogio, wohin sonst?«
»Jetzt?«
»Ja.«
»Aber wie...«
»Es gibt einen Weg.«
Wir hasteten über die Brustwehr zurück, die Wendeltreppe im Turm hinunter und über den verlassenen Exerzierplatz, der im Schatten des Bergfrieds dalag. Eine niedrige Tür in der Mauer führte zu einer kurzen Treppe und in einen schmalen Gang, der nach frisch behauenem Stein roch.
»Komm«, drängte Bruder Guido. »Hoffentlich haben sie ihn inzwischen fertiggestellt.«
»Wo sind wir?«, keuchte ich.
»In einem Gang, der die Burg mit dem Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie verbindet. Il Moro hat ihn anlegen lassen, damit er sicher in die Kirche gelangt und jederzeit fliehen kann, wenn dies notwendig werden sollte.«
» Madonna .«
»Derlei Dinge gehören zur Alltagsordnung.«
Das wusste selbst ich. Ich erinnerte mich nur zu gut an den Geheimgang zwischen der Engelsburg und dem Vatikan in Rom, durch den wir geschritten waren, aber ich hielt es für ratsam, Bruder Guido nicht an den Tag zu erinnern, an dem sein Glaube in ihm erstorben war. Während wir weitereilten, überlegte ich, dass er sich tatsächlich endgültig von der Kirche gelöst zu haben schien, und erst jetzt wurde mir klar, wie
sehr er für mich immer tiefen Glauben und absolute Frömmigkeit verkörpert hatte - es hatte mir einen regelrechten Schock versetzt, als er schlicht mit »Guido« tituliert worden war, über Frauen gesprochen hatte, ohne rot zu werden und ins Stocken zu geraten, und sich sogar einen Scherz über Gott erlaubt hatte. Ich versetzte mir einen geistigen Rippenstoß. Was war denn nur los mit mir? Wenn er in das weltliche Leben zurückkehrte, gab es vielleicht eine Chance für mich - für uns.
Wir huschten geräuschlos weiter, bis ein grünlicher Schimmer über uns auf Licht schließen ließ. Nachdem wir eine weitere Treppe bewältigt hatten, gelangten wir in das geräumige Gewölbe der Klosterkirche. Mondlicht flutete durch die Bogenfenster einer hohen Kuppel. In der Nähe des Hochaltars intonierte eine Gruppe von Mönchen eines ihrer mitternächtlichen Gebete. Wir hasteten zum Ausgang und hinaus in die dunkle Nacht. Draußen ergriff Bruder Guido eher drängend als liebevoll meine Hand und zog mich rechts und links mit sich durch die silbrigen Straßen. In dem Moment, da sich der Mond ganz hinter den Wolken hervorschob, sah ich unser Ziel vor uns, ein massives Gebäude mit zwei hohen Türmen - die Basilika Sant’Ambrogio.
»Leg deine Maske an«, befahl mir Bruder Guido, als wir auf die großen Türen zugingen. »Atme möglichst regelmäßig. Und spiel mein Spiel mit.«
Wir warteten einen Moment lang im Portikus, um uns zu sammeln, dann stieß Bruder Guido die schwere Tür auf. »Sie ist nicht verschlossen?«, wunderte ich mich leise.
»Das Haus Gottes steht jedermann jederzeit offen«, erwiderte Bruder Guido mit einem Schnauben, das mir nicht geflel.
Wie ich sehen konnte, hielten die Brüder hier denselben Zeitplan
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