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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Mahlzeit versöhnte mich fast mit den Drohungen: Salzfleisch, Bier, Obst und frisches Weißbrot. Ich schlang alles hinunter, während meine Mutter mich unter gesenkten Lidern hervor beobachtete - das menschliche Äquivalent zu Nehushtan. Als ich fertig war, rülpste ich laut, um sie zu ärgern. Sie zuckte weder zusammen, noch tadelte sie mich, sondern überraschte mich stattdessen mit ihrem nächsten Schachzug.
    »Dein Haar ist eine Katastrophe«, stellte sie fest. »Chiara, bring den Kamm und das Öl. Und... lass mich sehen. Ja, die Mondsteine, sie erscheinen mir überaus passend.«
    Ihre ältere Zofe, die ich von Venedig her kannte, holte das Gewünschte aus einer Truhe. Meine Mutter setzte mich vor
den Spiegel und begann mein Haar zu frisieren. Ihre Hände waren überraschend sanft und geschickt. Sie kämmte meine verfilzten Locken aus und formte kleine Ringe, die mit den Mondsteinen aufgesteckt werden sollten. Der Rest meines Haares flutete mir offen über den Rücken. Als sie ihr Werk vollendet hatte, nahm sie mich bei den Schultern und sah mit mir zusammen in den Spiegel. Zwei blonde, grünäugige Frauen in flammend roter Seide blickten uns entgegen. Unsere Blutsverwandtschaft stand uns in die Gesichter geschrieben; zeigte sich im Schnitt der Augen, den dunklen gewölbten Brauen, der kleinen Stupsnase und den vollen roten Lippen. Sie sagte nichts, als sie ihre Wange gegen die meine presste, aber ich verstand sie auch so.
    Wir waren eine Familie.
    Angetan mit Umhängen, Stiefeln und Masken (»du wirst dich unter Soldaten bewegen, Liebes«) waren wir bereit. Meine Mutter schickte nach dem diensthabenden Sergeanten. Wir wurden eine steinerne Treppenflucht hinuntergeführt, dann kamen wir an einem von Karpfen wimmelnden, künstlich angelegten Teich vorbei. Die Fische ließen ihre goldenen Bäuche von der Sonne bescheinen. Ich hätte auf der Stelle einen herausfischen und mit Kopf und Schwanz verspeisen können, so hungrig war ich immer noch.
    In diesen malerischen Hof marschierte der Herzog mit seinem Gefolge - mir fiel auf, dass Il Moro stets zu marschieren schien, als wäre er zu einer normalen Gangart nicht fähig. Sein ganzes Gebaren wies ihn als Soldaten mit Leib und Seele aus, der Krieg war sein Geschäft und sein Lebenselexier zugleich.
    Wieder begrüßte er uns militärisch kurz und gab sich mir gegenüber so freundlich wie am Abend zuvor, als hätte ich die Nacht in seiner luxuriösesten Kammer und nicht in einer seiner Zellen verbracht.
    »Kommt«, dröhnte er. »Ich werde Euch jetzt die Wunderdinge zeigen, von denen wir beim Essen gesprochen haben, werte Damen.«

    Mit diesen Worten führte er uns eine im Sonnenlicht schwarz und weiß schimmernde Loggia hinunter und schloss mit der Hand mit dem Medici-Ring eine niedrige Tür auf. Dann wandte er sich an seine Wächter. »Sechs bleiben hier, sechs kommen mit«, befahl er. »Aber keine Römer.«
    Der Sergeant zählte die Männer ab. »Ihr beiden Mailänder, du da aus Maremma, du aus Siena, du aus Modena und der Pisaner.« Beim letzten Wort blickte ich auf und sah, dass Bruder Guido der uns zugeteilte pisanische Wächter war.
    Wir traten durch die dunkle Tür und stiegen eine sich nach links drehende Wendeltreppe hinunter. Die Sandalen der Soldaten klapperten hinter uns. Tiefer ging es und immer tiefer, bis wir in eine geräumige Kammer gelangten. Durch die in den dicken Fels des oberen Hofes eingelassenen Fensterschlitze fiel helles Licht in das Gewölbe.
    Als ich sah, womit der Raum bevölkert war, stockte mir der Atem.
    Madonnna.
    Es wimmelte hier von seltsamen Gebilden aus Holz und Eisen, bizarre, gespenstische Kreaturen, riesige Belagerungstürme und Kriegsgerät mit Zähnen wie Drachen. Alle wiesen ungeheure Ausmaße auf und strotzten vor Winden, Seilen, Kanonen und blitzenden Klingen und Haken.
    Stumm durchquerten wir die riesige Halle, die einer unterirdischen Kathedrale glich, nur dass hier nicht Gott, sondern der Krieg angebetet wurde. Und als würde er aus der Bibel rezitieren, begann Ludovico Sforza plötzlich in einer Sprache zu sprechen, die ich als Latein erkannte. Hatte er deshalb keine Römer dabeihaben wollen? Weil Männer aus Rom häufig der Sprache der Kirche mächtig waren? Ich verstand natürlich kaum ein Wort. Meine Mutter, die immer wieder zustimmend nickte, verstand alles. Aber ich wusste, was mich mit geheimem Stolz erfüllte, dass noch jemand hier war, der jedes Wort von Il Moros Ausführungen verstand und mir später alles

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