Das Geheimnis Des Frühlings
Perle in meinem Nabel.
Bruder Guido sah genauer hin. »Ich sehe, dass die rechte und die linke Grazie eine kostbare Brosche und einen Anhänger an einer Kette tragen.«
»Auf ihrem Haar«, warf ich ein.
»Wie bitte?«
»Auf ihrem Haar«, wiederholte ich. »Hier, seht Ihr? Die linke Grazie trägt eine Brosche an ihrem Mieder. Die rechte trägt den Schmuck auf einer geflochtenen Locke ihres eigenen Haares.«
»Ihr habt vollkommen recht.« Er bedachte mich mit seinem seltenen, strahlenden Lächeln, die einzige Belohnung, an der mir gelegen war. »Beide Schmuckstücke sind überdies mit Rubinen besetzt. Aber wo sind die Perlen von Pisa, der mittleren Grazie?«
Ich deutete feixend auf das Bild. In Modefragen war ich immer von Nutzen. »Der Kragen ihres Gewandes ist damit bestickt. Es sind Staubperlen, sehr viel weniger wertvoll als die anderen, aber nichtsdestotrotz Perlen.«
Er nickte. »Vielleicht steht der Wert des Geschmeides für den Wohlstand der drei Staaten? Vielleicht sind Neapel und Genua reicher als Pisa?«
»Der Süden?« Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe gehört, dass sie dort ihre eigene Pisse trinken, wenn ihre Ziegen keine Milch mehr geben, so arm sind sie.«
»Mit solchen hochinteressanten Einzelheiten kann ich leider nicht dienen«, erwiderte er trocken. »Aber im Wesentlichen habt Ihr recht. Die nördlichen Staaten sind reicher. Das kann also nicht der Grund sein.«
»Es ist doch möglich, dass Pisa eine Brosche trägt, die wir nur nicht sehen können, weil sie uns den Rücken zukehrt.«
Bruder Guido sah mich ausdruckslos an. Ganz offensichtlich wusste er meine Logik nicht zu würdigen. Dann wischte er meinen Einwurf beiseite wie eine lästige Fliege. »Es hat wenig Sinn, sich zu fragen, was in einer fiktionalen Darstellung vielleicht vorhanden, aber nicht zu sehen ist. Obwohl Eure Frage durchaus philosophische Ansätze zeigt.«
Jetzt war es an mir, ihn erstaunt zu mustern. In meinem ganzen Leben hatte mir noch niemand einen Hang zur Philosophie bescheinigt. »Ich verrate Euch noch etwas. Diese Juwelen sehen echt aus.«
»Echt?«
»Ja. Echt. Alles andere wirkt... nun ja, erfunden, der Fantasie entsprungen. Aber der Schmuck der beiden Grazien sieht echt aus.« Ich deutete auf Neapels Anhänger - die dunkle Goldfassung, den Rubin in der Mitte und die drei Perlen, die genau das richtige Gewicht und die richtige Schattierung hatten. Ich hatte einiges von Bembo gelernt.
Jetzt dämmerte ihm, worauf ich hinauswollte. »Ihr meint, bei allem anderen handelt es sich um Tropen, Verzeihung, um Ausgeburten der Fantasie Signore Botticellis, aber die Juwelen existieren tatsächlich, sie sind nach einer realen Vorlage gemalt worden?«
»Genau.« So weit waren meine Schlussfolgerungen zwar noch gar nicht gediehen, aber ich ließ mir die seinen bereitwillig unterschieben.
»Demnach« - ich sah förmlich, wie es hinter Bruder Guidos Stirn arbeitete - »glaubt Ihr, die Grazien seien ebenfalls real existierenden Menschen nachempfunden?«
»Warum nicht? Ich bin real, und ich habe für Flora gesessen. Warum sollte es sich bei diesen drei Mädchen nicht auch um wirklich existierende junge Frauen handeln? Mit Ausnahme von Pisa vielleicht, weil sie Botticelli ansieht, um zu zeigen, dass der Weg bei ihr beginnt. Aber die anderen beiden rechts und links gibt es mit Sicherheit auch im wirklichen Leben. Sogar ihre Gesichtszüge wirken echt, sie unterscheiden sich nämlich voneinander.«
»Ihr habt recht. Ich weiß, dass wir zunächst gedacht haben, sie wären beliebig austauschbar, weil sie einander so ähneln. Aber inzwischen glaube ich, Botticelli wollte diesen Eindruck absichtlich erwecken, damit der Betrachter sieht, wie sehr sich auch die Städte ähneln - drei Seenhandelsstaaten eben. Aber
wenn man genauer hinschaut, erkennt man die Unterschiede. Der Teufel liegt im Detail. Hinweise, Luciana. Wir finden immer mehr Hinweise.«
Der Gebrauch meines Vornamens wärmte mein Herz. »Aber wer sind diese Frauen?«
»Bei einer von ihnen kann ich es mir denken«, versetzte er. »Wer das Gesicht der linken Grazie einmal gesehen hat, vergisst es nie wieder. Ich habe sie vor langer Zeit gesehen, als mein Vetter und ich mit meinem Onkel - möge seine Seele in Frieden ruhen - Florenz besucht haben. Wir sollten ein Turnier zu Ehren von Guiliano de’ Medici besuchen, dem unseligen Bruder Lorenzos des Prächtigen.«
(Zur Erinnerung: Er war derjenige, den die Pazzis im Domfast zerstückelt haben.)
»Sie war auch dort,
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