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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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inzwischen ein Vollbart gewachsen, und seine Blässe sowie der Gewichtsverlust verliehen ihm das Aussehen eines religiösen Asketen. Mit einem Engel konnte man ihn momentan jedenfalls nicht mehr vergleichen. »Vermutlich. Allerdings sind die Seewege vor Neapel berüchtigt. Sobald man die geschützte Seite der Halbinsel verlässt, laufen hier die Ströme der sieben Meere zusammen. Ich habe Euch nichts davon gesagt, weil ich Euch keine Angst einjagen wollte, aber jetzt findet Ihr es ja gerade selbst heraus.« Er seufzte. »Jedenfalls werden wir jetzt schneller ans Ziel kommen, wir werden in den Hafen geweht wie eine Eichel in einen Mühlteich. Wir haben nämlich Rückenwind.«
    »Gott sei Dank«, krähte ich. »Wir müssen das Geschlinger
eben aushalten, so gut wir können, und dann können wir dieses verfluchte Schiff und die Ratten, die es bemannen, ein für alle Mal hinter uns lassen. Morgen Nacht schlafen wir in Don Ferrantes Palast in seidenen Laken.« Ich hüpfte über die Planken und klopfte ihm auf die Schulter. »Nur Mut. Vielleicht offenbart sich Euch jetzt mein wahres venezianisches Naturell, denn es heißt, jeder Venezianer wird in einem Sturm geboren, daher brauchen wir widerstandsfähige Mägen.« Ich war außer mir vor Freude. Die Gefahren, die uns von der Mannschaft über uns drohten, und die Stadt vor uns waren vergessen. Ich wollte nur noch so schnell wie möglich von diesem verdammten Schiff herunter.
    Eine Stunde später hatte sich dieser Wunsch verhundertfacht. Bruder Guido und ich rollten wie Erbsen im Laderaum herum, während das Schiff von den Wellen auf und ab geschleudert wurde. Jedes Mal, wenn wir unter dem Gitter landeten, ergoss sich ein Schwall Meerwasser über uns, das in den Augen brannte und uns den Atem verschlug. Wir erbrachen uns immer wieder heftig, ich mich sogar noch stärker als er. Jetzt prahlte ich nicht mehr damit, eine seefeste Venezianerin zu sein. Wir konnten uns auch nicht mehr fein säuberlich in eine Ecke übergeben, sondern verteilten unseren Mageninhalt überall hin, über uns selbst und über den anderen, und wir konnten uns nur mit dem Meerwasser notdürftig säubern. Jede Stelle unserer Körper schmerzte, weil wir ständig gegen die Wände prallten. Und dann begann sich der Laderaum zu meinem Entsetzen mit Wasser zu füllen, erst bis zu unseren Knöcheln, dann reichte es uns bis zur Taille. Ich wusste nicht, was geschehen würde, wenn das Wasser das Bild durchweichte, aber es kümmerte mich in diesem Moment auch nicht weiter. Der Sturm tobte so wild, dass wir weder sprechen noch etwas hören konnten. Nass bis auf die Haut und zitternd klammerten Bruder Guido und ich uns aneinander wie zwei Seelen in der Hölle. Ich wusste, dass ich noch in dieser Stunde sterben würde, aber ich musste wenigstens nicht alleine sterben. Im
Sturm geboren, dachte ich immer wieder. Venezianer werden in einem Sturm geboren. Sie werden in einem Sturm geboren und sterben in einem Sturm. Der Kreis schließt sich. Das Wasser stieg weiter, und Bruder Guido begann zu beten - doch als das Meer zu meinem Mieder hochschwappte, riss er die Augen auf und stieß einen Schrei aus, der im Heulen des Windes und dem Tosen des Wassers unterging. Aber ich sah, dass seine Lippen den Namen der Primavera formten. Das Bild, das uns in unsere momentane Situation gebracht hatte, war mir mittlerweile herzlich egal, aber er nicht. Ihm zuliebe nestelte ich mit klammen Fingern an meinem Mieder herum, zog die gewachste Rolle hervor und hielt sie in die Höhe. Bruder Guido hielt verzweifelt nach einer Möglichkeit Ausschau, das Bild zu retten, und dann trieb die Antwort an ihm vorbei - in Gestalt des Ziegenhautschlauches. Er rollte das Pergament fester zusammen, damit es in den Schlauch passte, schob es hinein und verschloss den Schlauch mit dem Wachsstopfen. Dann schlang er sich, da er größer war als ich, den ledernen Riemen um den Hals und verstaute das so verpackte Bild in seiner Kapuze. Ich wusste so gut wie er, dass wir ohnehin verloren waren, wenn das Wasser so hoch stieg.
    Aber bald spielte unser Größenunterschied keine Rolle mehr, denn unsere Füße lösten sich vom Boden, und wir begannen in die Höhe zu steigen, höher und immer höher. Oder sank das Schiff immer tiefer? Ich konnte es nicht mehr sagen. Ich hatte kein Ruder, keinen Kompass, konnte Backbord nicht mehr von Steuerbord unterscheiden und oben nicht mehr von unten. Und ich hatte Angst um meinen Freund, dessen braune Kutte sich mit Wasser

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