Das Geheimnis des goldenen Salamanders (German Edition)
wiederkommen, um das Mädchen abzuholen. Bis dahin hast du den goldenen Salamander hoffentlich gefunden, denn ich bin überzeugt, dass Ralph Sinclair ihn hier in Hatton Hall versteckt hat.« Die Kerzen des Leuchters flackerten im Luftzug, als die beiden Männer die Bibliothek verließen.
Der goldene Salamander! In den letzten Minuten hatte Alyss kaum gewagt zu atmen. Vater hatte ihr vor seiner Abreise einen kleinen goldenen Salamander zugesteckt. Es konnte sichunmöglich um das gleiche Schmuckstück handeln. Woher es stammte, wusste Alyss nicht, hatte jedoch immer vermutet, dass er es von einer seiner Reisen mitgebracht hatte. Als die Ratcliffs in Hatton Hall ankamen, hatte sie es mit anderen Erinnerungen unter den Bodendielen in ihrem Zimmer versteckt. Sie hatte schon früh herausgefunden, dass ihre Kostbarkeiten nur dort vor den Jungen sicher waren. Seitdem hatte sie nicht mehr an den Salamander gedacht – bis heute Nachmittag. Jetzt konnte sie es kaum erwarten, zurück in ihr Zimmer zu gehen, um ihn aus seinem Versteck zu holen. Einen Augenblick später schob sie den Hebel hoch und drückte ihren Körper mit ganzer Kraft gegen das schwere Bücherregal.
In der Bibliothek war es jetzt still. Nur die Kerzen flackerten leicht. Onkel Humphrey hatte vergessen, sie zu löschen. Alyss griff nach dem Leuchter und öffnete die Tür. Erst als sie sich versichert hatte, dass der Gang leer war, verließ sie die Bibliothek.
Kurz darauf kniete Alyss neben dem Bett in ihrer Schlafkammer. Um die lose Diele darunter zu spüren, brauchte sie nicht einmal das Licht des Leuchters, den sie auf einer Truhe abgestellt hatte. Sie musste dazu nur ihren Arm strecken und blind nach dem Loch zwischen den Brettern tasten. Mit dem Zeigefinger ließ sich die Diele kinderleicht anheben. Trotzdem schlug ihr Herz bis zum Hals. Was, wenn jemand ihr Versteck unter den Bodendielen entdeckt hatte? Doch dann ertastete sie die kleine Schatulle, auf deren Deckel winzige Blumen aus Perlmutt eingelegt waren. Sie war unversehrt. Lächelnd musterte sie den Inhalt: glatte Kieselsteine und Muscheln vom Meer, bunte Vogelfedern, Glasperlen, eine Holzpuppe, ein paar Münzen. Darunter lag ein Miniaturgemäldeihrer verstorbenen Mutter. Einen Augenblick lang betrachtete Alyss die Frau auf dem Bild, die ihr gleichzeitig fremd und vertraut vorkam, dann legte sie die Miniatur behutsam zur Seite.
Ganz unten in der Kassette fand sie, was sie suchte: ein in grünen Samt eingeschlagenes Päckchen, das sie jetzt auswickelte. Interessiert betrachtete sie den kleinen goldenen Salamander auf ihrer Hand. Die winzigen roten Steine, die auf seinem Rücken eingefasst waren, funkelten im Schein der Kerzen. Allerdings verstand sie nicht, wieso die Männer von einem Schatz sprachen. Das Schmuckstück war nur so groß wie ein Männerdaumen und kaum schwerer als ein Goldring. Natürlich, Gold war kostbar, und Alyss wusste auch, dass Rubine wertvolle Edelsteine waren. Doch die Splitter auf dem Rücken des Reptils waren so winzig, dass es sich dafür gewiss nicht lohnte, einen Garten umzugraben und ein Haus auf den Kopf zu stellen. Sie drehte den Salamander, um sich die Unterseite anzusehen. Dort waren Zeichen eingraviert, die keinen Sinn ergaben.
Dann wurde sie plötzlich von Erinnerungen überflutet.
Als ihr Vater ihr den Salamander geschenkt hatte, hatten den ganzen Tag wilde Winterstürme ums Haus gefegt. Schneeregen peitschte gegen die Fensterscheiben und im Kamin prasselte ein warmes Feuer.
»Sobald das Wetter besser wird«, hatte der Vater gesagt, »wird die Aurora in See stechen.« Zwar mochte es Alyss nie, wenn der Vater sie allein in Hatton Hall zurückließ, doch Ralph Sinclair hatte keine andere Wahl. Immerhin reiste er im Auftrag des Königs, und einem königlichen Befehl musste man widerspruchslos nachkommen. Überdies waren dieabenteuerlichen Geschichten von der Neuen Welt, die er seiner Tochter nach seiner Rückkehr von den langen Reisen erzählte, jeden Augenblick des Alleinseins wert. Und in Thomas’ und Beths Gesellschaft, die sich liebevoll um sie kümmerten, während der Vater unterwegs war, fühlte sie sich sehr wohl. Trotzdem hatte sie an jenem Abend ein ungutes Gefühl. Auch der Vater schien etwas zu spüren, denn es war das erste Mal, dass er ihr vor der Abreise ein Abschiedsgeschenk überreichte. Sie erinnerte sich noch genau, dass ein Ast im Feuer laut knisterte und eine helle Flamme aufloderte, als er ihr das Päckchen reichte.
»Ein Glücksbringer«,
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