Das Geheimnis des goldenen Salamanders (German Edition)
leckte an ihrem Stück und fing an, es genießerisch auszusaugen.
Auch Jack hatte sich inzwischen zu den anderen gesellt. Er nahm sich wortlos seinen Anteil Brot, Käse und Orange und setzte sich neben Guy.
»War Ned wirklich nicht mit dir in Bridewell?«, fragte er den Jungen, ohne das Essen anzurühren.
»Menschenskinder!«, stöhnte Guy mit vollem Mund. »Geht denn gar nichts in deinen Schädel rein? Dein oller Bruder war nicht im Heim. Hab ich dir doch schon hundert Mal gesagt.«Inzwischen hatte er sein Orangenstück verschlungen und stopfte sich abwechselnd Käse und Brot in den Mund.
»Kannst du mir dann bitte wenigstens ganz genau berichten, wohin ihr damals gegangen seid und wo du Ned zuletzt gesehen hast.«
»Wenn du denkst, du könntest deinen Bruder nach all dieser Zeit wiederfinden, irrst du dich gewaltig.« Guy tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe. »Inzwischen sind alle Spuren eiskalt. Du bist zu spät.«
»Aber ich dachte, er sei bei dir«, rechtfertigte sich Jack wütend. »Ihr seid zusammen los. Und ich dachte, ihr wärt auch zusammen in Bridewell gewesen. Konnte ja nicht wissen, dass du ihn einfach so im Stich gelassen hast.« Er atmete tief ein. »Bitte«, bat er schließlich, obwohl er sich am liebsten auf Guy gestürzt hätte.
»Na los«, forderte jetzt auch Maggie den Jungen auf. »Sei doch nicht so stur. Es kann doch nicht so schwer sein, alles der Reihe nach zu berichten.«
»Na gut«, gab Guy schließlich nach und grinste mit vollem Mund. »Sagen wir mal, Molls Spiegel sind an allem schuld.«
Wenigstens darin stimmte Jack ihm zu. Wegen der doofen Spiegel hatte er Ned nicht begleiten können. Obwohl Moll bereits unzählige Spiegel besaß und fast jede freie Wand im Haus damit bedeckt war, hatte die Frau am Tag, bevor Ned verschwand, schon wieder Spiegel erworben. Jack sollte ihr helfen, die neuesten Sammlerstücke im Gang aufzuhängen. Wegen der Spiegel musste sein Bruder mit Guy losziehen, und wegen der Spiegel war Jack nicht da gewesen, um ihn zu beschützen.
»Ich hatte von Anfang an so ’n Riecher, das was in die Hose gehen würde«, fuhr Guy fort, während er sich mit der Handüber die Haarstoppeln fuhr. »Kein Wunder, denn dein Bruder ist noch grün hinter den Ohren und hat wirklich null Ahnung, wenn’s ums Klauen geht.«
»Mach doch endlich! Erzähl, was passiert ist!« Auch Hal und die anderen Jungs blickten Guy erwartungsvoll an.
»Na, eigentlich wollten wir in der Paternoster Row nach feinen Damen Ausschau halten. In der Straße gibt’s mehr volle Geldbeutel als anderswo in der Stadt. Die Weiber gehen alle dorthin, um sich Stoffe für ihre Klamotten zu kaufen.«
Maggie nickte zustimmend. »Die Spitze und Seidenstoffe, die es dort gibt, sind himmlisch.« Doch alle waren mehr an Guys Bericht interessiert.
»Als wir auf dem Weg dorthin bei St. Pauls vorbeigingen, dachte ich, wir könnten schnell mal in die Kirche rein. Dort gibt’s auch so einiges zu holen. Aber dein Hohlkopf von Bruder trödelte erst mal auf dem Kirchhof herum, wollte sich unbedingt die Bücher auf den Verkaufstischen ansehen.« Er tippte sich mit seinem Zeigefinger an die Stirn. »Dabei kann er nicht mal lesen.« Er steckte sich sein letztes Stück Käse in den Mund.
»Das ist typisch Ned«, meinte Jack und musste bei dem Gedanken lächeln. »Er schaut sich immer gern die Bilder in den Büchern an.«
Auch wenn die beiden Brüder zusammen auf Diebestour unterwegs waren, gingen sie oft zu St. Pauls. Der Kirchhof der Kathedrale war ein Zentrum des Buchhandels. In Läden, Buden und auf behelfsmäßigen Ständen wurden dort Bücher, Flugblätter und andere Schriften verkauft.
»Das mag ja sein«, erwiderte Guy immer noch kauend. »Doch erzähl das mal den Buchhändlern. Der Alte, dem der Stand gehörte, war jedenfalls überzeugt, dass dein Bruder dasBuch klauen wollte. ›Nimm deine schmutzigen Pfoten weg‹, schrie er.«
»Wieso seid ihr nicht abgehauen?«
»Denkst du, ich bin bescheuert? Natürlich wäre ich weg, wenn ich dazu die Chance gehabt hätte. Doch schon spürte ich ’ne eiserne Hand am Kragen. So ’ne Schlappe. Da stand doch glatt ein Wachmann, und ich konnte mich nicht mehr von der Stelle rühren. Dein doofer Bruder dagegen war auf und davon. So schnell konnte ich gar nicht gucken.«
»Weißt du noch, bei welchem Buchladen sie dich geschnappt haben?«
»Sicher! Aber du glaubst doch nicht etwa, dass du dort deinen Bruder wiederfindest.« Er grinste. »Oder doch? Vielleicht
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