Das Geheimnis des goldenen Salamanders (German Edition)
entdeckt hätte. Er konnte nicht widerstehen. Doch er kam nicht einmal dazu, ihn abzuschneiden. Genau in dem Augenblick, als er sein Messer zückte, war auf einmal die Hölle los. Ein Junge war wie aus dem Nichts aufgetaucht und stürzte laut schreiend auf ihn zu. Normalerweise hätte Jack ihn leicht abgehängt, immerhin war er um einen halben Kopf größer und sicherlich viel schneller, doch der Fluchtweg war blockiert. Die anderen Leute drängten sich alle auf einmal durch den Ausgang, er hatte nicht die geringste Chance zu entwischen. Gleichzeitig stand plötzlich der Riese neben ihm, packte ihn am Nacken und hob ihn vom Boden hoch. Sosehrer sich auch wehrte, mit den Armen um sich schlug und mit den Beinen kickte, jeder Widerstand war zwecklos. Der kleine, dicke Mann auf der Bühne hatte nicht umsonst den Hünen zuvor als den stärksten Mann der Welt angepriesen. Kit hatte sich so unauffällig wie möglich aus dem Staub gemacht, anstatt ihm beizustehen. Auch die anderen Leute hatten es sehr eilig. Menschenfresser und Riesen waren allen unheimlich. Was mit dem gefangenen Taschendieb geschehen würde, interessierte sowieso niemanden. Es war ausweglos, und jetzt saß Jack in der Klemme.
»Gib mir den Salamander zurück!«, wiederholte der Junge. »Ich weiß genau, dass du ihn geklaut hast.« Zum zigsten Mal durchwühlte er den Inhalt von Jacks Schultertasche, die er vor sich auf dem Boden ausgeleert hatte.
Jack hatte den Jungen vom Vortag gleich wiedererkannt, obwohl er gestern noch nicht gehumpelt hatte und sein Bein nicht bis zum Knie verbunden gewesen war. Klar, er hatte ihn auf dem Jahrmarkt bestohlen. Solche Jungs waren leichte Beute für die Diebe in der Stadt. Wenn er ihn nicht beklaut hätte, wäre er sicher das Opfer eines anderen geworden. An seiner Gangart und wie er staunend um sich blickte, hatte man sofort bemerkt, dass er von außerhalb kam. Auch dass er aus einer wohlhabenden Familie stammte, erkannte man von Weitem. Selbst wenn sein Hemd am Körper schlabberte und seine Hosen so weit waren, dass er sie mit einem Gürtel hochhalten musste, sah man doch, dass sie aus feinen Stoffen genäht waren.
»Welchen Salamander?« Jack stellte sich stur. So dumm war er nicht, den Diebstahl vor dem Menschenfresser zuzugeben.
»Ich irre mich ganz bestimmt nicht«, wandte der Jungesich jetzt dem Wilden und den anderen beiden zu. »Er ist der Dieb.« Dann deutete er auf seine Haare. »Außerdem würde ich diese feuerroten Haare überall wiedererkennen.«
»Na und, das hat doch gar nichts zu bedeuten. In London gibt’s massenweise Leute mit roten Haaren«, erwiderte Jack. »Ich jedenfalls hab dich noch nie gesehen und ’nen Salamander auch nicht.«
»Doch, du hast mich angerempelt und dabei meinen Beutel vom Gürtel abgeschnitten. Genau so, wie du es bei dem Mann gerade eben versucht hast.« Wütend, mit funkelnden Augen, die fast genauso schwarz waren wie die des Wilden, durchbohrte ihn der Junge mit seinem Blick. »Du brauchst es nicht zu leugnen. Ist doch offensichtlich, dass du die Sachen hier geklaut hast.« Er deutete auf das Diebesgut vor sich. »Oder willst du behaupten, dass all das Zeug dir gehört.«
»Ich weiß nichts von einem Salamander«, beharrte Jack, obwohl er genau wusste, von was der Junge sprach.
Im Lederbeutel, unter den Münzen, hatte er eine kleine, in Samt gewickelte Tierfigur entdeckt. Doch da ihn Schmuck nicht besonders interessierte, hatte er den Salamander nicht einmal genauer angesehen. Moll jedenfalls hatte sich über die Beute gefreut und ihn als Meisterdieb gelobt. Er sah sich im Zelt um. Irgendwo musste es doch einen Fluchtweg geben. Vielleicht hatte er eine Möglichkeit übersehen. Im Licht der flackernden Laterne erinnerte es ihn an Molls Laden. Auch dort stand überall Gerümpel herum. Ausgestopfte Tiere, Klamotten und anderer Kram, genau wie hier im Zelt. Jacks Blick blieb an einem Pfosten in der Mitte des Zelts hängen. Dort stand ein Korb voller scharfer Messer, daneben lagen mehrere Äxte. Sein Weg in die Freiheit war nur wenige Schritteentfernt. Wenn er sich langsam näher schob, würden seine Bewacher nichts merken. Dann könnte er sich heimlich eines der Messer stibitzen und sich damit freikämpfen. Sein eigenes Messer hatten sie ihm bedauerlicherweise abgenommen.
Wieder blickte Jack zu den Messern. Der Wilde hatte wohl seine Absicht bemerkt, denn einen Augenblick später öffnete er eine Kiste und verstaute die Waffen. Auch einen Bogen und einen Köcher voller
Weitere Kostenlose Bücher