Das Geheimnis des goldenen Salamanders (German Edition)
Spur? Was sonst hatte er in London verloren? Plötzlich wurde ihr ganz schwindlig. Der Knöchel, der heute schon viel besser war, begann zu pulsieren und sie musste sich an der Zeltwand festhalten. Aus unerklärlichen Gründen war der Onkel hinter dem Salamander her. Vermutlich hatte er inzwischen erraten, dass Alyss mit ihm auf und davon war. Er hatte auf der Suche nach einem vermeintlichen Schatz den ganzen Garten von Hatton Hall umgraben lassen, da würde er sicher auch alles Erdenkliche tun, um Alyss in der Stadt aufzustöbern. Dass ihr Salamander gestohlen worden war, konnte er ja nicht wissen.
Plötzlich stieß jemand Alyss grob zur Seite. Der Taschendieb rannte an ihr vorbei. Gleich dahinter, schnell wie ein Pfeil, folgte Sassa, der schon einen Augenblick später mit dem Jungen im Schlepptau zurückkehrte.
»Alles in Ordnung?«, fragte Sassa, als er Alyss, immer noch regungslos, neben der Bude vorfand.
Sie nickte, während sie nach dem Onkel Ausschau hielt. »Mir war nur schwindlig.« Auf den Zinnen des Brückentors konnte man die aufgespießten Köpfe sehen, die in der Morgensonne glühten, doch Arrow und sein Reiter waren verschwunden. Alyss atmete tief durch.
»Worauf warten wir noch«, meinte sie, und gleich darauf zogen sie mit dem Taschendieb Richtung Brücke.
»Hier lang«, sagte der Junge nach einer kurzen Zeit schroff.
Kurz vor dem Brückenhaus bogen sie in eine Gasse ein, die so schmal war, dass sich die überhängenden oberen Stockwerke fast berührten. Jede freie Stelle war bebaut, nicht wie in Hatton Hall, wo es außer dem Haupthaus nur die Ställe und den Taubenschlag gab. Auch die Gerüche waren anders. Zu Hause duftete es im Frühjahr im Garten nach Blumen, im Sommer nach frisch gemähtem Gras, im Herbst nach Laub. Sicher, im Pferdestall roch es auch nicht besonders gut, doch der Gestank hier war reinweg ekelhaft. Bald zweigten sie abermals ab. Die nächste Gasse sah für Alyss genau wie die erste aus, und gleich darauf ging es schon wieder um die Ecke. Sie war froh, dass Sassa bei ihr war, denn allein würde sie aus diesem Labyrinth nie wieder herausfinden. Ob das genau das war, was der Dieb im Schilde führte? Sassa schien das Gleiche zu denken.
»Trau dich ja nicht, uns an der Nase herumzuführen.«
In diesem Augenblick versuchte sich der Junge loszureißen, doch der Indianer hielt ihn mit eisernem Griff fest.
»Bring uns zum Salamander oder wir bringen dich zur Wache.« Obwohl er heute keine Kriegsbemalung trug, sah Sassadabei so bedrohlich aus wie am Vorabend, als er auf der Bühne die Beile geschwungen hatte. Auch der Junge hatte wohl den Blick bemerkt, denn fortan lief er mit hängenden Schultern resigniert neben dem Indianer her. Er hatte eingesehen, dass es unter Sassas Adleraugen unmöglich war zu entwischen.
»Mir bleibt ja wohl nichts anderes übrig, mit dem ollen Menschenfresser als Kindermädchen«, maulte er. »Aber wer garantiert mir, dass ihr nicht hinterher mich und meine Freunde bei der Wache verpetzt?«
»Ich hab dir mein Ehrenwort gegeben«, erwiderte Alyss. »Oder hast du das schon vergessen?«
Der Taschendieb hatte die Flucht tatsächlich aufgegeben, denn wenig später hielten sie vor einem Laden an, über dem drei eiserne Kugeln hingen, dem Zunftzeichen der Pfandleiher. Alyss hatte von solchen Leihhäusern gehört. Wenn Leute in Geldnot waren, konnten sie dort ihre Habseligkeiten zeitweilig hinterlegen und bekamen dafür Geld geliehen. Hatte der Junge den Salamander etwa verpfändet? Ein Mädchen, etwas älter als Alyss, war gerade dabei, die Fensterläden des Geschäfts zu öffnen. Sie blickte auf, als sie die Gruppe hörte.
»Jack!«, rief sie erfreut. »Wir haben uns Sorgen gemacht.« Erst dann bemerkte sie seine Begleiter. »Wer ist das?«
Im nächsten Augenblick kam ein kleines Mädchen durch die offene Tür gerannt.
»Jack!«, rief auch sie strahlend. »Wir haben alle schon gedacht, dass dich der Menschenfresser geschnappt hat. Kit ist gestern noch hier vorbei und hat uns alles erzählt.« Doch auch sie hielt abrupt inne und starrte den dunkelhäutigen Indianer alarmiert an.
»Ich muss zu Moll«, erklärte Jack seinen Freunden einsilbig.
»Und was ist mit dem Typen hier? Der wird ihr bestimmt nicht gefallen.« Das ältere Mädchen blickte Jack besorgt an.
»Meinst du, ich hab ihn freiwillig hierher geschleppt?« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf Sassa, der nicht von seiner Seite wich und immer noch seinen Arm festhielt. Dann stapfte er
Weitere Kostenlose Bücher