Das Geheimnis des goldenen Salamanders (German Edition)
ließ.
»Ich mag das Haus nicht«, quengelte Tommy neben ihm. »Ich will weg hier.« Er hatte sein Mandeltörtchen längst verzehrt und kaute stattdessen nervös an seinen Fingernägeln.
»Nun hör mir mal gut zu.« Jack musterte den Kleinen gereizt. »In dem Haus wohnt ’n Mann, der Kinder klaut. Mein kleiner Bruder ist vermutlich in dem Bau. Ich muss ihn da rausholen. Also reiß dich gefälligst zusammen.«
»Aber wenn er dich auch in ’ne Ratte verwandelt?«
Verflucht noch mal! Wieso hatte Moll den Neuen ihm und nicht einem anderen der Bande zugeteilt. Jack hatte wirklich Wichtigeres zu tun, als Kindermädchen zu spielen. Er kramte in seinem Beutel, um ihm mehr Geld zu geben. »Hol dir noch was vom Bäcker.«
»Aber ich hab keinen Hunger mehr. Ich will heimgehen.« Tommy war den Tränen nahe. »Bitte, geh da nicht rein.«
»Nun mach dir mal deswegen nicht gleich in die Hose.« Tommy tat ihm zwar leid, doch er konnte sich nicht länger aufhalten lassen. »Ich komm so schnell wie möglich wieder raus. Ehrenwort!«
Auf der anderen Straßenseite öffnete sich die Haustür. Doch es war nur der dicke Mann von zuvor. Er setzte seinen Hut auf und schritt eilig in Richtung Brücke. Der Junge vom Jahrmarkt blieb verschwunden.
»Rühr dich nicht von der Stelle«, wies Jack Tommy noch an. Danach ließ er ihn neben der Bäckerei stehen.
In der schmalen Gasse, die zwischen den Gebäuden von der geschäftigen Straße zum Fluss hinabführte, war viel weniger Betrieb. Nur am Ufer stand ein Mann, der gerade nach einem Fährmann rief. Der Wind wirbelte einige Blätter auf. Sonst war nichts zu sehen. Jack blickte zurück zur Straße. Von dort würde jeder sehen können, was in der Gasse vor sich ging, aber er hoffte, dass die Leute anderweitig beschäftigt waren. Vor der Auslage des Zuckerbäckers standen zwei Frauen, deren Röcke sich im Wind wie Segel bauschten. Unbehelligt vom stürmischen Wetter, schwatzten sie angeregt. Andere Passanten eilten die Hauptstraße entlang, niemand nahm von dem Jungen neben der Mauer Notiz. Nur Tommy beobachtete ihnbesorgt von der anderen Straßenseite aus, während er an seinen Fingernägeln kaute. Jack rüttelte an der kleinen Pforte, aber wie er schon vermutet hatte, war sie verschlossen. Die Mauer dagegen würde er tatsächlich mühelos hinaufklettern können, denn der alte, lose Mörtel bot ideale Stufen für Füße und Hände. Die beiden Frauen waren immer noch ins Gespräch vertieft. Jetzt oder nie! Jack begann flink das alte Gemäuer hochzuklettern, packte einen Ast, schwang sich über die Mauer und landete kurz darauf auf dem weichen Gras neben dem Apfelbaum.
Der Garten war leer. Neben der steinernen Sonnenuhr in der Mitte hatte jemand einen Korb abgestellt, halb voll mit Fallobst. Auf der anderen Seite, hinter einem Brunnen, der mit einem Holzdeckel abgedeckt war, lag eine ordentliche Reihe von Gemüsebeeten. Alles sah friedlich aus, bis auf die Fassade des Gebäudes, die mit ihren vergitterten Fenstern zum Garten hin ebenso bedrohlich aussah wie auf der Straßenseite. Hier einzusteigen war unmöglich, allerdings führten mehrere Steinstufen zu einer Tür hoch, die nur angelehnt war. Genau in dem Augenblick, als Jack darauf zugehen wollte, schwang sie auf und eine Frau mit Haube und Schürze trat in den Garten. Er erkannte die rundliche Dienstmagd, die den Jungen eingelassen hatte. Jetzt ging sie fröhlich summend, einen Korb am Arm, auf den Küchengarten zu. Den Eindringling hinter dem Stamm des Apfelbaums bemerkte sie nicht. Solange sie hier im Garten war, hatte Jack dennoch nicht die geringste Chance, ungesehen ins Haus des Zauberers zu gelangen, denn der Pfad zur Tür lag direkt in ihrem Blickfeld.
Gemächlich fing die Frau an, Erbsenschoten zu pflücken, die sich im Gemüsebeet um ein Spalier aus Weidenruten wanden. Hin und wieder öffnete sie eine der Schoten und steckte sich die Erbsen eine nach der anderen genussvoll in den Mund. Nachdem sie genug Erbsen gepflückt hatte, begann sie Radieschen aus der Erde zu ziehen und in ihren Korb zu legen. In der Zwischenzeit stand Jack dicht an den Baumstamm gedrängt und wartete. Von der anderen Seite der Mauer drangen die Geräusche der Stadt nur gedämpft in den Garten. Die Stimmen der Schiffer, klappernde Wagenräder, Pferdehufe wie aus weiter Ferne. Selbst der Wind, der immer noch durch die Gassen pfiff, schien vor der hohen Mauer haltzumachen. Nur die Blätter der obersten Obstbaumäste rauschten. Plötzlich zerriss ein
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