Das Geheimnis des Goldmachers
nachdem unser bisheriger Marsch frei von
Qual und Mühsal verlaufen war, eben so, als ob der Allmächtige selbst seine
schützende Hand über uns gehalten hätte, dachte keiner von uns auch nur im
Entferntesten an ein Scheitern der Mission. Die Zuversicht stand jedem ins
Gesicht geschrieben, gepaart mit einer gespannten Vorfreude und Neugierde ob
der Dinge und Wunder, die uns alle jenseits der Alpen erwarten würden, und sei
es nur das Meer, welches keiner von uns bislang zu Gesicht bekommen hatte. So
zogen wir also los in südwestlicher Richtung auf den ungefähr vierzig Meilen
entfernten Bieler See zu, die Häute prall gefüllt mit Rheinwasser, denn nun
mussten wir, erstmals seit Beginn unserer Reise, einige Tage ohne einen Fluss
an der Flanke unseres Zuges zurechtkommen.
Nikolaus wählte den in den Savoyen
gelegenen Mont-Cenis-Pass, um die Alpen zu überwinden, doch eigentlich waren es
seine ihn ständig umschwirrenden Berater, die diesen Weg als Passage
festlegten. Da ich selbst zum Gefolge des Nikolaus von Cölln gehörte, wenn ich
auch nicht in die strategischen Überlegungen mit eingebunden wurde, kann ich
nun, ohne jenes verklärte Gefühl von Ehrfurcht und Respekt, das ich dem Knaben
seinerzeit noch entgegenbrachte, feststellen, dass nahezu jede wichtige
Entscheidung von seinen Beratern gefällt wurde. Nikolaus verblieb nur,
bestenfalls mit eigenen Worten, diese Vorhaben feierlich zu verkünden. Dazu
bestieg er häufig einen Hügel wie seinerzeit Jesus Christus und ließ seine
Anhänger um sich scharen. Da stand er dann nun, häufig die blutroten Schleier
der Abendsonne in seinem Haar, und er sprach zu uns wie damals in der Kirche,
und wieder verströmte er jene Aura, die augenblicklich jeden Zweifel an seiner
Person in Luft auflöste, und wieder war ich bereit, mein Leben mit Freuden zu
geben, wenn unser Auftrag oder er es von mir verlangen sollte.
Allerdings nur zu Beginn unserer
Wanderung, denn von Mal zu Mal trat offensichtlicher zum Vorschein, dass
Nikolaus nur seine Stimme hergab für Entscheidungen, die andere für ihn
fällten. So geschah es denn auch, dass sich mir die zwei Gesichter des Nikolaus
von Cölln offenbarten, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Während
der Ansprache mit dem Nimbus der Unfehlbarkeit behaftet, wurde er, kaum
geendet, wieder zum naiven Knaben, kindlicher und unreifer, als andere Jungen
seines Alters es waren. Immer fragte Nikolaus mich, wie mir seine Ansprache
gefallen habe, und immer lobte ich ihn in höchsten Tönen. Bang ums Herz wurde
mir jedoch, als ich bemerkte, dass er bisweilen unmittelbar nach seiner Rede
schon nicht mehr wusste, worüber er soeben noch gesprochen hatte.
War es tatsächlich Gott, dem
Nikolaus als Werkzeug diente?
Oder wurde er nur benutzt von
jener argwöhnischen Bande geheimnisvoll miteinander tuschelnder Kleriker, die
ihn umgarnte, unentwegt auf ihn einredete und abschottete vom Rest der
Gemeinschaft? Nur mit Müh und Not, und beileibe nicht immer, gelang es mir, zu
ihm vorzudringen und stets spürte ich die misstrauischen Blicke seiner
Begleiter im Nacken.
*
Kaum hatten wir das
gastfreundliche Basel verlassen, stießen wir auch schon auf die ersten
Ausläufer der Alpen. Die Pfade wurden zusehends steiler, das Gelände steinig
und trist und mit der Trostlosigkeit unserer Umgebung wuchs der Missmut in
unserer bislang so wohlgelaunten Gemeinschaft. Nicht nur die Nächte wurden
deutlich kühler, auch Wasser und Nahrung mussten nun eingeteilt werden, wollten
wir alle den Bieler See erreichen, unsere nächste Etappe. Verfügten die Älteren
unter uns noch über genügend Disziplin, die allgegenwärtigen Beschwerlichkeiten
und Entbehrungen klaglos zu erdulden, so verließen die Jüngsten in unserem Heer
allmählich die Kräfte, nachdem die Wochen mit ausnahmslos gutem Wetter,
reichlich Wasser und Speisung endgültig der Vergangenheit angehörten. Ihre
Klagen wurden immer lauter, ihr Jammern immer flehender und, so grausam es auch
klingen mag, ihr Weinen wurde einigen unter uns zusehends lästiger. Die
Stimmung trübte sich ebenso wie der Himmel über uns, und hinter vorgehaltener
Hand wurde der Gedanke, die Kinder ihrem Schicksal zu überlassen, immer
häufiger ausgesprochen. Gottlob vermochten sich jene herzlosen Seelen nicht
durchzusetzen, jedenfalls noch nicht, und wir erreichten, die Kinder
bevorzugt mit Speis und Trank versorgend, alle miteinander wohlbehalten und
gerade noch rechtzeitig die Siedlung Biel am
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