Das Geheimnis des Goldmachers
die
Ansprache nicht von Nikolaus selbst ersonnen, sondern ihm nur in den Mund
gelegt worden war. Argwöhnisch von seinen Begleitern beäugt, fühlte ich mich dann
rasch bestätigt in meiner Vermutung.
Doch noch konnte und wollte ich
keine weiteren Schlussfolgerungen aus meinen Beobachtungen ziehen. Ich war
einfach nur stolz und überglücklich, dem großartigen Nikolaus von Cölln zu
Diensten sein zu dürfen, jenem Jungen also, dem der leibhaftige Jesus von
Nazareth erschienen war, um ihm einen Auftrag zu erteilen.
Auf einer Bergkuppe angelangt,
legten wir eine Rast ein und ich bekam eine wohlige Gänsehaut angesichts des
berauschenden Schauspiels, welches sich vor meinen Augen abspielte – zurück ins
Tal auf das Ende unseres Zuges blickend, sah ich ein farbenfrohes, aus Menschen
geknüpftes Band, das auf einer Länge von nahezu zwei Meilen uns hinterdrein
strebte.
Und ein jeder von ihnen, sinnierte
ich von Herzen froh, war nur von einem Gedanken beseelt – dem Herrn dienlich zu
sein. Welch unwiderstehliche Macht doch von Worten auszugehen vermag, dachte
ich damals und hatte dabei freilich nur Gutes im Sinn.
*
Die folgenden Tage
und Wochen bis zum Erreichen des Alpenrandgebietes will ich nur kurz
ansprechen, da nichts Außergewöhnliches geschah. Nur so viel zum
Organisatorischen: Wir marschierten immerzu flussaufwärts das westliche
Rheinufer entlang. Der Sommer des Jahres 1212 war sehr heiß und trocken, müsst
Ihr wissen. Da der Rhein stets zu unserer Linken lag, mangelte es nie an
Wasser. Hunger lässt sich eine Weile ertragen, doch Durst kann mörderisch sein,
zumal sich der Großteil unseres Gefolges aus Kindern rekrutierte, die
Entbehrungen nur schwer zu ertragen wussten. Für Wasser war also gesorgt, doch
auch der Magen musste gefüllt werden. Entlang des Rheins befinden sich, wie Ihr
gewiss selbst bestens wisst, zahlreiche Siedlungen, ebenso einige größere
Städte wie Koblenz oder Speyer. Daher liefen unserem Zuge immer einige Herolde
voraus, die unser Kommen ankündigten. Der Bischof von Cölln verpflichtete in
einem Schreiben, welches die Botschafter bei sich trugen, sämtliche kirchliche
Einrichtungen der uneingeschränkten Unterstützung unserer Sache. Und so geschah
es, zumeist freiwillig und aus freudigem Herzen. Freilich, einige Male wurde
die Hilfe nur mit spürbarem Unwillen gewährt, aber auch dieses zu tadelnde
Verhalten unserer Gastgeber vermochte unsere Freude nicht zu trüben, waren wir
doch in der Gewissheit unterwegs, nicht zu unserem Vorteil, sondern im Namen
des Allmächtigen in den Krieg zu ziehen.
Da das Jahr zuvor eine
reiche Ernte eingetragen hatte, die Kornkammern also noch ordentlich gefüllt
und das Vieh bestens gemästet war, konnten die meisten Ortschaften zumindest für
einen Tag mit genügend Speisung aufwarten, und wenn eine Gemeinde nicht
ausreichend hatte, so halfen die benachbarten Orte mit aus. Außerdem sammelten
wir alles Essbare auf, was wir auf unseren Wegen fanden, seien es Beeren oder
Wurzeln gewesen, des Weiteren jagten einige von uns in den umliegenden Wäldern
und andere wiederum fischten im Rhein nach schwimmender Nahrung. Das alles
zusammen, Almosen von der Kirche, Früchte und Beeren vom Wegesrand sowie Wild
und Fisch hielten unser junges Heer am Leben, zwar nicht übermäßig üppig, aber
doch ausreichend. So durchquerten wir die Herzogtümer Nieder- und
Oberlothringen sowie Franken und Schwaben, passierten Städte wie Mainz, Worms
und Straßburg und kamen schließlich Anfang Juli in Basel an. Bis zu jener prächtigen
Stadt an den Grenzen zum Königreich Burgund waren wir dem Rheinverlauf strikt
gefolgt, nun hieß es Abschied nehmen vom teutonischsten aller Flüsse, denn
unsere Passage über die Alpen, die uns schließlich nach Genua führen sollte,
verlief in westlicher Richtung, während der weitere Lauf des Rheins zum östlich
gelegenen Bodensee führte. Nur wenige, zumeist Kinder unter zehn Lenzen und
Kranke sowie Alte, hatten unseren Zug bislang verlassen, und ungefähr ebenso
viele sind in den Städten zu uns gestoßen, sodass wir nach zwei Tagen Rast in
Basel mit nahezu zwanzigtausend Menschen aufbrachen, die Alpen zu überwinden.
Hätte ich geahnt, wie wenige nur
schließlich nach unendlich erscheinenden sechs Wochen die Südausläufer des
Massivs nahe Turin erreichen würden, abgekämpft und dem Tode näher als dem
Leben, so wäre ich der Erste gewesen, der versucht hätte, Nikolaus von seinem
verwegenen Plan abzubringen. So aber,
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