Das Geheimnis des Goldmachers
gleichnamigen See.
Zwar war der Empfang hier bei
Weitem nicht so herzlich wie einige Tage zuvor in Basel, doch der Anblick des
klaren, funkelnden Wassers und die unweit des Sees wieder üppiger sprießende
Vegetation mit ihren Beeren und Früchten entschädigte uns dafür umso
reichlicher.
Wir errichteten unser Lager am
Westufer. Nun war die Zeit reif für ernsthafte Gespräche, abseits der
romantischen Verklärungen, welche viele noch mit unserem Vorhaben verbanden,
denn dieser erste Marsch in unwirtlicheren Gefilden zeigte unserem Unternehmen
deutlich seine Grenzen auf. Während einige von uns, darunter auch ich mit der
gelebten Weisheit ganzer zwölf Jahre, zu der Ansicht gelangten, dass die
Jüngsten und Schwächsten unter uns wieder heimwärts ziehen sollten, jetzt,
solange sie noch frei zu wählen vermochten, verlor Nikolaus zu meinem Entsetzen
zusehends den Sinn für die Wirklichkeit. Wie im Fieber fantasierte er von
Wundern, welche der Herr ihm im Traum geweissagt habe. Doch nicht das, was er sagte, beunruhigte mich, denn auch ich glaubte nach wie vor felsenfest an
die Unterstützung des Allmächtigen. Es war die Art und Weise, wie er zu
mir sprach. Seine Augen flackerten wie irr, sein Blick drang durch mich
hindurch, ohne mich wahrzunehmen. Dies war nicht mehr das vertraute Geplauder
eines Knaben mit einem Gleichaltrigen. Vielmehr sprach jetzt der allseits
berühmte Nikolaus von Cölln zu mir, so wie er seinerzeit im April zu den
abertausend Pilgern in der Kathedrale sprach, doch fehlte seiner Rede jegliche
Kraft; seine Worte waren leer, wirr und zusammenhanglos.
Ob der Ruhm seinen Geist verwirrte
oder eine andere Ursache dafür vorlag – die Frage nach dem Warum war nunmehr
ohne Belang. Eines jedoch stand außer Frage: Der Führer, dem zwanzigtausend
Menschen, zumeist noch Kinder, bedingungslos ihr Leben anvertraut hatten, war
nicht mehr Herr seiner Sinne. Ich versuchte zwar, ihn zur Einsicht zu bewegen,
doch meine Worte drangen nicht mehr zu ihm durch. Der Anführer unseres
Kreuzzuges weilte inzwischen in seiner ganz eigenen Welt, unsere Mission,
nunmehr kopflos, war gescheitert.
Doch wie sollte ich die Massen zur
Umkehr bewegen?
Ein Wort von Nikolaus hätte
gereicht.
Mich jedoch, obwohl seinem
unmittelbaren Gefolge angehörend, kannte kaum jemand, niemals hätte ich
glaubhaft in seinem Namen zu unserer Gemeinschaft sprechen können. Und niemals
hätte ich wie er die Menschenmassen bewegen können, dafür fehlte mir sein
Charisma. So suchte ich also in den Abendstunden die Kleinsten der Kleinen auf,
doch selbst bei ihnen war mir kein Erfolg beschieden. So herzzerreißend sie
auch klagten und jammerten auf dem beschwerlichen Weg von Basel zum Bieler See,
so kurz wiederum schien ihr Gedächtnis und so gewaltig ihre Zuversicht und ihr
Vertrauen in Nikolaus, der ihnen Wunder über Wunder versprach, allabendlich
nun. Ihr junger Verstand war noch nicht wach genug, um zu erkennen, dass er
jedes Mal die gleichen Worte sprach, klanglos intoniert wie auswendig gelernt.
Und kaum einer kam ihm näher als hundert Fuß, sodass ihnen entgehen musste, wie
wild seine Augäpfel rollten, wenn er mit sanfter Stimme Nächstenliebe predigte,
nur um einen Moment später mit dem leerem Blick eines Toten die Morgenländer
mit energischer, fast überschlagender Stimme der Blasphemie zu bezichtigen.
Zwei volle Tage und ebenso viele Nächte erholten wir uns von den Strapazen der
Reise, eigentlich eine lange Zeit, dennoch hatte ich leider gerade einmal eine
Hand voll Kinder und einen Greis als ihren Führer zur Heimkehr überreden
können.
Ich zog indes mit Nikolaus und den
anderen weiter, gen Süden zum nahe gelegenen Neuenburger See. Die Kinder
einfach in ihr Verderben laufen zu lassen, ohne alles Menschenmögliche dagegen
unternommen zu haben, empfand ich als ebenso feige wie auch unverantwortlich.
Doch entgegen meinen Befürchtungen
verliefen die nächsten Tage ohne Beschwerlichkeiten, ganz im Gegenteil. Schnell
erreichte die Gemeinschaft den Neuenburger See, der Himmel klarte auf und das
Wetter blieb daraufhin angenehm warm und trocken. Tagelang wanderten wir am
Westufer des Sees entlang, bestens versorgt mit Wasser, und die unweit unseres
Weges wachsenden Büsche trugen reichlich Früchte. Nach drei Tagesmärschen
ließen wir den Neuenburger See hinter uns und zogen daraufhin zum großen See
bei Genf. Ich schöpfte neue Zuversicht, hätte beinahe meine Bedenken als
Schwarzmalerei abgetan, nun, als die Zeit des großen
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