Das Geheimnis des Goldmachers
gestern, als sie zur Michaeliskirche gingen, wunderte er sich
über das mächtige Loch in der ansonsten doch so massiven Stadtbefestigung.
Angesichts des gerade einmal schrittbreiten Kanals erschien es ihm arg
überproportioniert. Nun, im Angesicht des Hochwassers, wusste er, warum es so
groß geraten war. Umso leichter sollte es ihm nun aber auch fallen, die Öffnung
zu finden, sei das Wasser noch so trüb.
Ein gellender Schrei fuhr ihm
durch Mark und Bein.
»Zum Teufel, was ist denn in dich
gefahren?«
»Eine Ratte, eine verfluchte Ratte
schwimmt hier drinnen!« Osmans Stimme überschlug sich.
»Nun verschreck das arme Tier
nicht so, dann wird’s dir schon nichts tun!«, erwiderte Robert ruhig, obwohl
auch ihm nicht wohl bei dem Gedanken war, eine Wasserratte hinter sich zu
wissen, ohne eine Hand frei zu haben.
Wieder krachte ihr schützendes
Dach gegen die Mauer und sie konnten von Glück sagen, dass es nicht bereits
größere Risse aufwies. Robert überlegte fieberhaft – viel Zeit blieb ihnen
nicht mehr, gerade mal einen knappen Fuß war die Luftblase noch hoch. Er war
bereits gezwungen, seinen Kopf zur Seite zu neigen, um mit dem Mund nicht unter
Wasser zu geraten. Es musste etwas geschehen, schnell.
»Osman, ich werde meinen Kopf
unter Wasser halten, um einen Blick voraus werfen zu können. In dieser Zeit
muss ich die Tränke mit ausgestreckten Armen in die Höhe stemmen. Sei
vorbereitet, dass du gleich mehr Gewicht zu tragen hast. Sammle dich also, mein
Freund!«
Osman seufzte, doch auch er erkannte
natürlich den Ernst der Lage. Schließlich gab er Zeichen, bereit zu sein, und
Robert tauchte langsam unter in die stinkende Brühe, die Tränke weiterhin nach
oben gestreckt.
Er traute seinen Augen nicht, denn
direkt voraus zeichnete sich die Öffnung vor ihm ab, dunkler und schwärzer noch
als die Mauer ringsumher. Doch warum zum Teufel, fragte er sich, kamen sie
nicht hindurch? Erst ein zweiter Blick brachte Klarheit. Wütend auf sich
selbst, stieg er dermaßen rasch wieder auf, dass sein Schädel mit einem lauten
Krachen gegen den steinernen Boden der Tränke schlug.
»Osman, es gibt ein Problem!«
Robert versuchte,
seiner Stimme nichts anmerken zu lassen, obwohl die Zeit mit aller Macht
drängte, denn inzwischen musste er seinen Kopf vollständig zur Seite neigen, um
noch Luft zu bekommen. Nur noch wenige Atemzüge, dann wäre ihr lebensspendendes
Dach bis oben hin mit Wasser gefüllt.
»Die Tränke passt nicht durch den
Durchlass, nicht wahr?« Osman wirkte überraschend gefasst.
»Aber woher weißt du …?«
»Was sollte es sonst schon sein?
Verkauf mich nicht für dumm!«
»Und dabei hätte ich schwören
können, das Loch wäre breit genug!« Roberts Stimme klang untröstlich.
»Und was soll nun geschehen?«
Die Ratte, die immer noch munter
vor seinem Gesicht herumpaddelte, störte Osman mittlerweile nicht mehr.
Inzwischen war ihm alles egal und er hatte mit seinem Leben abgeschlossen.
»Ich habe versprochen, dich
hinaufzuziehen«, erwiderte Robert mit einer Stimme, die keinen Widerspruch
duldete, »und genau das werde ich tun! Sei unbesorgt, ich bin ein guter
Schwimmer!«
»Aber gewiss doch, du hattest ja
reichlich Gelegenheit zu üben während deiner Gefangenschaft in Alexandria!«
»Schluss mit dem Geschwätz, Eile
tut Not!« Robert tat so, als habe er Osmans durchaus gerechtfertigten Einwand
überhört.
»Hol noch mal ordentlich Luft und
dann beeile dich, an mir vorbei nach draußen durchs Loch zu gelangen, ich werde
so lange die Tränke halten. Sobald du draußen bist, komme ich nach und ziehe
dich nach oben. Schließ Mund und Nase und halt dich an der Mauer am Durchgang
fest, damit ich dich im trüben Wasser finden kann. Hast du alles verstanden?«
»Freilich hab ich alles
verstanden«, erwiderte Osman, bevor er gemessenen Wortes fortfuhr, »doch lass
mich noch eines sagen, bevor …«
»Unsinn!«, fuhr Robert seinen
Freund unerwartet scharf an. »Kein Grund, sich zu verabschieden, hörst du? Ich
ziehe dich nach oben, und zwar lebend, das schwöre ich bei meinem und von mir
aus auch bei deinem Gott. Und nun hol endlich Luft, solang noch welche da ist!«
*
Albert wälzte sich
von der einen Seite auf die andere, bis das trübe Tageslicht, das durch das
schmale Fenster auf sein Gesicht fiel, seinen unruhigen Schlaf endgültig
beendete. Noch hatte er, obwohl inzwischen wach, seine Augen fest geschlossen
und hoffte inständig, all die Ereignisse der letzten Nacht nur
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