Das Geheimnis Des Kalligraphen
fand. Aber dass Nura seine Ohren »herrlich« fand, verstand er nicht.
»Zeig mir, wie man mit Murmeln spielt. Ich habe die Jungen meiner Gasse immer beneidet, weil wir Mädchen nie Murmeln spielen durften«, sagte sie plötzlich und brachte ihm eine kleine Holzschachtel mit zehn Murmeln.
Sie spielten. Nura war recht geschickt, aber sie konnte Salman nicht besiegen. »Dir fehlt nur die Übung. Ich bin im Gnadenhof durch eine harte Lehre gegangen und habe meine Hände wund geschabt«, sagte er, als sie sein Spiel bewunderte.
Er hockte hinter ihr und nahm ihre rechte Hand in die seine, um ihr zu zeigen, wie sie die Murmel besser fassen konnte. Eine warme Woge durchströmte ihren Körper und ihr Herz schlug heftig vor Verlangen nach ihm, aber sie nahm sich zusammen, um das Spiel zu lernen.
Sie waren beide nackt.
»Wenn dein Mann kommt, lande ich nach fünf Minuten in der Hölle«, sagte er, als sie die Murmeln einsammelte.
»Das tut er nicht. Der Kalligraphie wegen wird er seine Hände nicht beschmutzen. Nein, er wird dreimal die Scheidungsformel wiederholen: Du bist geschieden, du bist geschieden, du bist geschieden. Und dann ist er mich los. Das ist anders als bei euch, der Strick, an den jede Muslimin gebunden wird, ist die Zunge ihres Mannes. Er braucht dabei einen Zeugen und mit dir hat er bereits Täter und Zeuge in einer Person«, sagte sie, schubste Salman auf das Sofa und gab ihm einen Klaps auf den Hintern.
»Aber ich gelte nicht als Zeuge. Du vergisst, dass ich Christ bin«, erwiderte er und küsste sie auf die Schulter.
»Das vergesse ich nicht, aber vergiss du jetzt meinen Mann«, erwiderte sie und küsste ihn. Und Salman vergaß alles.
27.
D er Regen hörte nicht auf und die Gesichter der Damaszener, die erst leuchteten, da Regen in dieser trockenen Gegend eine bessere Ernte versprach, wurden düsterer, je heftiger und länger der Regen auf die Lehmhäuser fiel. Nach fünf Tagen kam das Hochwasser. Die Altstadt stand schnell unter Wasser. Der Barada-Fluss, der im Sommer zu einem Rinnsal zusammengeschrumpft war, wurde nun zu einem reißenden Fluss. Er trat, lange bevor er Damaskus erreichte, über die Ufer, zerstörte die Gärten und riss viele Hütten mit sich. Viele der romantischen Restaurants und Cafés am Ufer des Flusses standen bis zum ersten Stock unter Wasser. Und von der Viktoriabrücke bis zum Märtyrerplatz war die Stadt ein großer See geworden. Am schlimmsten traf es Suk al Chatatin, die Straße der Kalligraphen im BahssaViertel. Und weil das Wasser über Nacht gekommen war, womit keiner gerechnet hatte, waren die Verluste der Kalligraphen verheerend.
Hamid freute sich, denn sein Atelier – im etwas höher liegenden Suk-Saruja-Viertel – blieb unbeschadet, und nun bekamen er und ein paar andere Kalligraphen, die das schlammige Wasser nicht erreicht hatte, all die Aufträge, die ihre Kollegen nicht erledigen konnten.
Nach genau sieben Tagen hörte der Regen auf. Die Sonne schien und blendete die Damaszener mit einem blitzblauen Himmel.
Als Salman kurz nach elf mit seinem Rad durch die Altstadt fuhr, dampften die Flachdächer unter der sengenden Sonne wie frische Fladenbrote.
Immer wieder musste er Umwege fahren, um dem kniehohen schlammigen Wasser auszuweichen. Er staunte über die vielen Kinder, die fröhlich lärmend im Wasser spielten, als wären sie am Meeresstrand. Nura hatte für sie beide eine kleine Portion grüne Bohnen mit Fleisch und Tomaten vorbereitet. Es schmeckte ihm, aber er hatte keine Ruhe und verschlang das Essen. »Ich muss leider schnell wieder weg, weil die Überschwemmung viele Wege unpassierbar gemacht hat«, rechtfertigte Salman sein eiliges Schlingen.
»Du Geizkragen, ich wollte dich als Nachtisch aufessen«, sagte sie und biss ihn zärtlich ins Ohrläppchen.
»Du kannst ruhig mit den Ohren anfangen, davon habe ich reichlich«, erwiderte Salman.
Als er gegangen war, schaute sie durch das Fenstergitter auf die Straße und beobachtete ihn, wie er mit seinem Fahrrad an den Menschen vorbeifuhr und auf allen Gesichtern ein Lächeln aufleuchtete. Es sah so aus, als hätte Salman einen Zauberpinsel, mit dem er die Herzen der Menschen kitzeln konnte.
Nura kannte niemanden in ihrem Leben, der so viel Freude verbreitete, und wunderte sich über ihre frühere Blindheit.
»Pass auf dich auf«, flüsterte sie.
Mahmud zeigte ihm, wie Papier marmoriert wird. Das wäre interessant gewesen, wenn Salman bloß einen anderen Gesellen als Lehrer gehabt
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