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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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Wege gehst du? Ist sie die Frau deines Meisters oder eines seiner Feinde?«
    »Sie ist seine. Wenn ich die Frauen seiner Feinde lieben würde, bräuchte ich ein Haremhaus. Er hat unendlich viele.«
    »Junge, Junge. Wie du dich verändert hast, du redest wie ein Journalist«, staunte sie.
    »Nicht ich habe mich, sondern die Liebe hat mich verändert, und mir ist egal, dass sie Muslimin ist.«
    »Ach, nein! Aber mich interessiert, dass du nicht irgendwann mit einem Loch im Kopf in der Gasse liegst. Dir zu sagen, die Finger von der Frau zu lassen, wäre Blödsinn, denn die Finger können nichts dafür. Sei nur vorsichtig! Ich werde jede Nacht, bevor ich meine Augen schließe, die heilige Maria bitten, dich zu beschützen«, sagte sie, streichelte ihm den Kopf und stand auf. Sie wollte mit ihrer Mutter, die bereits wartete, eine kranke Tante besuchen.
    »Wie damals deine Käfer«, flüsterte Salman, aber Sarah hörte ihn nicht mehr.
     
    Am Mittwoch sollte er das letzte Mal in dieser Woche das Essen für seinen Meister Hamid holen, der am Donnerstag für drei Tage in den Norden fahren wollte. Salman schlug Nura vor, sich in Karams Haus zu treffen, wo er jeden Freitag den ganzen Tag allein verbrachte und arbeitete.
    »Wir könnten den ganzen Tag ungestört zusammen sein«, sagte er bittend.
    Sie ließ sich Karams Adresse, die Buslinien und Straßenbahnen aufschreiben, die sie nehmen sollte, und küsste ihn zum Abschied. »Soll ich etwas zum Essen mitbringen?«, fragte sie. Er verneinte. Essen gab es immer genug bei Karam.
    »Dich sollst du mir mitbringen, denn ich habe Hunger nach dir«, sagte er und küsste sie. Sie lachte. Wenn jemand ihn fragen würde, was das Schönste auf der Welt sei, würde er ohne Zögern Nuras glucksendes Lachen nennen.
    Nura übergab ihm die Matbakia mit dem Essen und eine Tüte mit einem gebügelten Hemd und frischen Socken für Hamid. Er hatte abends einen wichtigen Termin mit einem einflussreichen Gelehrten, und die Zeit war zu knapp, um nach Hause zu kommen.
    »Mir ist noch etwas eingefallen«, sagte Salman schon im Gehen. Nura lachte, weil sie seine Tricks inzwischen kannte. »Ja, dass wir uns seit einer Ewigkeit nicht geküsst haben«, ahmte sie seine Stimme nach.
    »Nein, im Ernst: Kennst du dich in Sachen Kalligraphie aus?«, fragte er.
    »Nur ein wenig. Aber Hamid hat die beste Bibliothek. Kann ich dir was suchen?«
    »Wer ist Ibn Muqla? Alle Kalligraphen verehren ihn. Dein Mann redet über ihn wie über einen Heiligen! Und was ist das für ein Bund, in dem dein Mann Mitglied ist? Du darfst ihn aber nicht selbst fragen. Es ist ein Geheimbund. Ich habe ihn bei einem Telefongespräch belauscht.«
    »Ich weiß nichts von einem Geheimbund. Hamid und Geheimbund?Das gibt es doch nicht. Ich versuche auch darüber etwas herauszufinden, und wenn wir uns am Freitag sehen, weiß ich etwas für dich«, sagte Nura und küsste ihn lange auf den Mund. »Warum schmeckst du immer so gut?«
    »Ich lerne gerade bei Samad die Kunst des Spiegelns in der Kalligraphie, also habe ich vorhin beim ersten Kuss all deine Düfte in meinem Mund gespiegelt. Du schmeckst dich selbst«, sagte er selbstsicher und verschwand. Ein Junge hatte es sich auf der kleinen Ladefläche seines Fahrrads bequem gemacht. Als er Salman mit der Matbakia in der Hand kommen sah, sprang er auf und rannte davon.
     
    28.
     
    S o früh wie an diesem Freitag war Nura seit der Schulzeit nicht mehr aus dem Haus gegangen. Sie zögerte lange, ob sie zur Sicherheit einen Schleier tragen sollte oder nicht. Sie entschied sich dagegen.
    Ein starker Wind schob Staub, Papierfetzen und Blätter vor sich her. Tauben und Spatzen flogen tief durch die Gassen. Ob sie ein Spatz oder eine Taube wäre, fragte sie sich und wusste nicht, warum sie weder das eine noch das andere sein wollte. Eine Nachbarin hatte ihr einmal gesagt, sie finde, sie sei einem Kaktus ähnlicher als irgendeinem Tier. »Ich bin die Rose von Jericho«, flüsterte Nura. Jahre treibt der Wind sein Spiel mit der Wüstenrose. Und dann glaubt er, dass er die Rose beherrscht. Doch beim ersten Tropfen Regen erinnert sie sich, dass sie einst eine kleine grüne Oase war.
    Ihr Mann sollte sich nur in Acht nehmen. Sie hatte den ersten Tropfen Wasser bereits geschmeckt.
    Um halb sieben stieg sie an der Haltestelle gegenüber ihrer Gasse in den Bus ein. Damaskus hatte jetzt am frühen Morgen ein unschuldiges Gesicht, auch die Damaszener, die unterwegs waren, wirkten noch verschlafen und friedlich

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