Das Geheimnis Des Kalligraphen
hätte. Mahmud kniff ihn immer in den Arm, gab ihm – auch ohne Grund – Kopfnüsse und konnte nur schlecht erklären, wie alles funktionierte.
Es war Radi, der ihm dann in der Mittagspause die Geheimnisse des Marmorierens erklärte. Das Atelier brauchte Unmengen von marmoriertem Papier für die Umrandung der Kalligraphien.
Mitte Dezember kam Sarah zu Besuch. Sie war schwanger und sah schöner aus als jemals zuvor. Sie strahlte vor Glück.
Es war ein sonniger Tag, aber einige Pfützen waren noch vom letzten Regen geblieben. Ein alter Mann schaute durch das Tor in den Hof und rief mit müder Stimme: »Alte Kleider, Schuhe, Eisen.« Seine Rufe zeigten, dass er von den Bewohnern nicht sehr viel erwartete. Eine Mutter, deren vierjähriges Kind weinte, rief dem Mann zu: »Kaufst du diesen Teufel?« Der Junge erstarrte, schaute ängstlich den schmutzigen Mann mit dem großen Sack an und verschwand blitzschnell in der Wohnung.
»Ach Madame, davon habe ich genug. Neun an der Zahl und jeder von ihnen ist eine Dreschmaschine, die alles zermalmt, was in ihre Hände kommt«, erwiderte er und winkte ab.
Salman entdeckte Sarah, die vor der Wohnungstür ihrer Eltern die Sonne genoss. Er nahm einen Hocker und setzte sich zu ihr. Er fühlte sich wie in alten Zeiten mit ihr verbunden, und so sprachen sie in aller Offenheit über Sarahs Leben mit ihrem Mann, über die Erkrankung von Salmans Mutter und das Schicksal einiger Bewohner des Gnadenhofs. Sarah wusste, dass Samira seit dem tragischen Tod ihres Sohnes Adnan um Jahre gealtert und sehr fromm geworden war. Sie wollte keine Männer mehr empfangen und sah den Tod ihres Sohnes als ihre Strafe auf Erden.
Sarah schien in der fernen Stadt Homs besser über die Nachbarn Bescheid zu wissen als Salman selbst. Sie erzählte ihm von Saids Schicksal. Er hatte den schönen Jüngling zu einem fetten großen Mann heranwachsen sehen. Saids Gang war weiblich. Schon lange wurde über Said getuschelt, dass er sich seltsam entwickle.
»Said ist eine männliche Prostituierte«, erklärte Sarah jetzt, »erst waren es ein paar Gäste des Hammams, die den schönen Jungen hofierten und ihm reichlich Trinkgeld gaben. Dann verführte ihn einer von ihnen, und der zweite erpresste ihn mit Geld und der dritte brauchte keine Erpressung mehr«, sagte sie traurig. Als Mädchen hatte sie den schönen Jungen sehr gemocht.
»Das ist schlimm«, flüsterte Salman. Er erinnerte sich an manche Gäste im Café, deren Trinkgeld immer mit Fummelei verbunden war. Es waren einsame Männer, reiche und arme, und Salman versuchte, ohne sie zu beleidigen, klarzustellen, dass er nicht der Junge war, den sie suchten.
»Und?«, unterbrach sie ihn plötzlich. »Hast du dich inzwischen verliebt oder lebst du noch wie ein Mönch?«
Salman lächelte: »Auch Mönche können der Liebe nicht widerstehen. Das habe ich vor kurzem gelesen«, erwiderte er. »Sie heißt Nura. Sie würde auch jeden Mönch vom Gebet abhalten.«
»Na, du könntest deine Zunge ein wenig bremsen oder bist du noch in der ersten Phase der Verliebtheit, wo die Hormone einen blenden?«, entgegnete Sarah überlegen wie immer. Salman schüttelte den Kopf: »Ich übertreibe überhaupt nicht. Kennst du die Schauspielerin Audrey Hepburn?«
»Klar, sowohl ›Ein Herz und eine Krone‹ als auch ›Sabrina‹ habe ich zweimal gesehen, aber was ist mit ihr?«
»Nura sieht wie eine Zwillingsschwester von ihr aus.«
»Wirklich? Oder willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Nein, wirklich«, sagte er und hielt kurz inne, Karams Worte kamen ihm ins Gedächtnis: »Wichtiger als ihre Schönheit ist, dass ich sie liebe, ich würde sie auch lieben, wenn sie einäugig wäre und einen Klumpfuß hätte. Sie wohnt hier«, er klopfte auf seine Brust. »Sie ist fast so wunderbar wie du«, sagte er.
»Und du bist der größte Charmeur, wie soll man dich nicht mögen!«
»Oh, da kann ich dir ein paar Exemplare der Gattung Mensch aufzählen, es gibt genug davon, im Café wie auch im Atelier«, sagte Salman.
»Und was macht sie, deine Schönheit?«, fragte Sarah, gerade als Said in den Hof kam, müde grüßte und gleich in seine Wohnung ging, die er seit dem Tod der Witwe, die ihn adoptiert hatte, alleine bewohnte.
»Sie ist eigentlich gelernte Schneiderin, darf aber ihren Beruf nicht ausüben, weil ihr Mann ein reicher Kalligraph ist«, sagte Salman und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, weil er schon ahnte, was Sarah gleich sagen würde.
»Salman, Salman, welche
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