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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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schenken.
    Zwölf der Männer gehörten dem »Rat der Weisen«, dem höchsten Gremium des Bundes an, sechsunddreißig Männer dem Kreis der »Eingeweihten«, beide zusammen führten den »Bund der Wissenden«, einen Geheimbund der Kalligraphen. Dieser war im Jahre 1267 von Yakut al Musta’simi, einem der genialsten Kalligraphen, gegründet worden. Er war Kalligraph und Bibliothekar und erlebte damals in den kalten Februartagen des Jahres 1258 die Zerstörung Bagdads durch die Mongolen, die sämtliche Bibliotheken in Brand steckten und derart viele Bücher in den Tigris warfen, dass das Wasser sieben Tage lang Schwarz trug, als würde es über den Niedergang der arabischen Kultur trauern.
    Yakut hatte keine Zeit zum Weinen. Er begnügte sich nicht mit der Gründung einer großen Kalligraphieschule in Bagdad, sondern schickte fünf seiner besten und angesehensten Schüler in alle Himmelsrichtungen mit der Anweisung, überall in der damaligen islamischen Welt Kalligraphenkreise und Schulen zu gründen. Den Geist von Yakut wollte Hamid in der Gegenwart wieder aufleben lassen.
     
    25.
     
    E s war ein eiskalter Dezembertag und der Regen hatte erst in der Morgendämmerung aufgehört, nachdem er alle Vertiefungen im Gnadenhof in Pfützen verwandelt hatte. Salman wachte sehr früh auf und war hundemüde. Die Nacht war für alle Mitarbeiter in Hamids Werkstatt wegen der Überstunden kurz gewesen. Er war todmüde ins Bett gefallen, konnte aber nicht einschlafen. Er dachte an Nura, hörte den Regen auf das Blechdach seines Zimmers trommeln und beneidete ihren Mann, der nun neben ihr liegen durfte. Ihm wurde warm bei der Erinnerung an ihre weiche Haut. Es überfiel ihn in der Dunkelheit aber auch große Angst: Was, wenn Meister Hamid etwas erfuhr!?
    Er sprang aus dem Bett, wusch sich schnell und verschlang das Marmeladenbrot, das ihm seine Mutter vorbereitet hatte. Das Brot war frisch und duftete nach Erde. Seine Mutter lächelte nach langer Zeit wieder, das merkwürdige Fieber, das ihr das Leben monatelang erschwert hatte, war abgeklungen.
    Sein Vater war bereits zur Arbeit gegangen. Salman steckte seiner Mutter fünf Lira in die Tasche ihrer Strickjacke: »Kauf dir, was dein Herz begehrt, damit du ganz gesund wirst«, sagte er. Sie küsste ihn, nahm seinen Kopf in die Hände, schnüffelte geräuschvoll und strahlte ihn an: »Du riechst nach Glück«, sagte sie. Er lachte und eilte hinaus, erwischte gerade den Bus und war pünktlich in der Werkstatt.
    Meister Hamid Farsi war schlecht gelaunt. Seine Schwester Sihamwar schon am frühen Morgen da gewesen und hatte um Geld gebettelt, weil ihr Mann angeblich operiert werden musste, sagte Samad. Hamid habe sie angeschrien, er sei keine Armenkasse, ihr Mann solle arbeiten, statt nur zu saufen und Haschisch zu rauchen. Jedoch habe er ihr das Geld schließlich gegeben. Die schlechte Laune des Meisters drückte auf die Stimmung der Mitarbeiter. Nicht einmal der lebenslustige Radi brachte einen Witz über die Lippen, und Mahmud, der Geselle, war mürrisch und gab Salman im Gegensatz zu Samad immer langweilige Aufgaben, bei denen er nichts lernen konnte.
    Der große Auftrag an diesem Tag bestand darin, massenhaft Zettel anzufertigen mit jeweils einem großgeschriebenen Buchstaben und einem Zitat aus dem Koran oder einem Spruch des Propheten, der mit diesem Buchstaben begann. Alle Gesellen arbeiteten wie am Fließband. Zehn Exemplare von jedem Buchstaben des Alphabets waren bestellt, und Salman musste die Papiere falten, sobald die Tinte trocken war, und in kleine Stofftüten schieben. Später würde die Kundin, eine bekannte Hebamme, diese zunähen und für viel Geld an abergläubische Frauen verscherbeln.
    Salman erinnerte sich an einen Witz, den Benjamin damals in der Schule über einen dummen Pfarrer im Dorf seiner Eltern erzählt hatte. Der Pfarrer wurde eines Tages geholt, um aus der Seele eines besessenen Jungen den Teufel auszutreiben. Der Pfarrer war als Exorzist bekannt. Er legte die Bibel auf den Kopf des knienden Jungen und begann zu lesen: »A. M. macht zusammen Am. A.N.F.A.N.G. macht zusammen Anfang. S.C.H.U.F. macht zusammen schuf. G.O.T.T. macht zusammen Gott.«
    »Wie lange willst du noch so weiterlesen?«, fragte der Teufel mit fürchterlich gurgelnder Stimme.
    »Die ganze Bibel«, antwortete der Pfarrer seelenruhig und setzte seine Lesung fort: »H.I.M.M.E.L. macht zusammen Himmel.«
    »Das reicht!«, schrie der Teufel. »Das reicht. Ich gehe schon, aber nicht, weil du

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